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Schwindel

Titel: Schwindel
Autoren: Kristina Dunker
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vorgestellt hatte, und er hatte auch nie gefragt, wie ich mich an meiner vorherigen
     Schule gefühlt hatte. Ich glaube, er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass es mir vor dem Umzug keineswegs gut gegangen
     war, dass ich auch nach gut sechs Wochen noch dachte, mein neues Leben sei nur ein schöner Traum, aus dem ich jeden Moment
     erwachen konnte, und dass ich trotz dieser ganzen großartigen Entwicklung immer noch nicht ohne Hilfe zurechtkam. Vielleicht,
     so hoffte ich, würde sich in Munkelbach die Gelegenheit ergeben, offen mit Julian zu reden und damit nicht länger dem Fuchs,
     der doch letztendlich ein Fremder war, zu vertrauen, sondern meinem Freund.
    Auf der Fahrt nach Koblenz malte ich mir alles in den frohesten Farben aus. Die traumhafte Aussicht auf den Rhein verstärkte
     meinen Optimismus: Weinberge, Burgen auf den Hügelkämmen, der in der Spätsommersonne golden schimmernde Fluss, die Spiegelungen
     der gefärbten Bäume auf dem Wasser – ein komplettes Idyll.
    Als ich gegen sechs Uhr, also eineinhalb Stunden später als geplant, in Koblenz ankam, war der Himmel lange nicht mehr so
     strahlend blau. Dort erhielt ich gleich zwei Hiobsbotschaften auf einmal. Zuerst teilte man mir im Reiseinformationszentrum
     mit, dass die Regionalbahn nach Munkelbach nur alle zwei Stunden fahre und ich also noch mal eine Stunde verlieren würde.Statt um 16.38   Uhr würde ich also erst um 19.38   Uhr in Munkelbach ankommen. Kaum hatte ich das an Julian weitergegeben und mir niedergeschlagen einen Becher Kakao gegönnt,
     rief Julian wieder an und es kam richtig dicke.
    »Eva, hör mal, jetzt habe ich ein Problem.«
    »Was denn?« Meine Stimme klang nach Hektik, obwohl ich gerade die unbedingt vermeiden wollte.
    »Ich hatte einen Unfall.«
    »Waas?« Fast verschüttete ich meinen Kakao.
    »Ja, ich hab heute Nachmittag das Schuppendach ausgebessert, bin gerade unglücklich runtergesprungen und hab mir den Fuß verknackst.
     Ich fürchte, ich kann dich nicht abholen. Momentan kann ich gar nicht auftreten.«
    »Hast du dir was gebrochen?«
    »Kann ich noch nicht sagen. Vielleicht hab ich Glück und der Knöchel ist nur verstaucht. Jedenfalls kann ich nicht kommen.
     Nimm dir ein Taxi, ja?«
    Gern hätte ich ihn angefleht: »Ich bin schon so lange unterwegs, bitte, hol mich doch ab! Ich brauch das jetzt, ich kann nicht
     mehr!« Ich wollte ihm erklären, wie müde, wie hungrig, wie entnervt ich war, aber ich hielt den Mund. Ich durfte mich jetzt
     nicht gehen lassen. Schließlich hatte ich ja kein Problem, ich hatte lediglich Last mit der Unpünktlichkeit der Deutschen
     Bahn. Er aber war verletzt!
    »Kein Thema, ich nehme mir ein Taxi«, sagte ich langsam. »Ist ja nicht schlimm, wenn du mich nicht abholst. Ruh dich mal lieber
     aus. Wenn ich dann bei dir bin, pfleg ich dich, was hältst du davon?«
    »Oh ja.« Julian schnurrte wie ein Kater. »Weißt du,Evchen, nach dem ganzen Pech, das wir beide heute hatten, sollten wir uns wirklich einen besonders schönen Abend machen. Ich
     werde eine Flasche Rotwein von meinem Vater öffnen und den Kamin anzünden.«
    »Gut. Ich freu mich.« Seine Worte trösteten mich, auch wenn ich mir im Moment kaum vorstellen konnte, dass ich jemals in der
     Mühle ankommen würde. Dennoch blieb ich ruhig, nahm einen großen Schluck Kakao und sagte mir, dass mir nichts die Laune verderben
     sollte, auch wenn ich mit dem Rotwein ein kleines Problem haben würde.

4
    Um zehn vor sieben setzte sich die Regionalbahn in Richtung Munkelbach endlich in Bewegung, allerdings so langsam und ächzend,
     dass ich befürchtete, sie werde nie dort ankommen, sondern irgendwo auf der Strecke stehen bleiben und auseinanderfallen.
     Es begann, dunkel zu werden. Zunächst konnte ich die Namen der kleinen Bahnhöfe gut lesen. Dann, recht schnell, zwischen Niederlückendorf
     und Oberlückendorf, waren die Schriftzüge nur noch Schemen und im nächsten Kaff sah ich außer dem karg beleuchteten Bahnsteig
     nur die Spiegelung meines eigenen Gesichts in der Scheibe. Dummerweise ersparte sich der Zugführer nun auch die Nennung der
     einzelnen Haltestellen. Um Gottes willen, wenn ich Munkelbach jetzt auch noch verpasste! Ich eilte durch den fast leeren Zug
     – die Leute, die mit Aktenkoffern und Einkaufstaschen in Koblenz eingestiegenwaren, hatten die Bahn mittlerweile so gut wie alle verlassen – und traf auf ein Mädchen mit mehreren Piercings.
    »Ich steige auch in Munkelbach aus«, sagte sie
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