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Schwesterlein, komm stirb mit mir

Schwesterlein, komm stirb mit mir

Titel: Schwesterlein, komm stirb mit mir
Autoren: Karen Sander
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Handschuhe aus. «Bisher hat die Befragung nichts ergeben. Die Hausbewohner sind schockiert. Alle mochten Frau Talmeier. Viele meinen, es muss etwas mit ihrem Beruf zu tun haben. Weil sie Kriminelle verteidigt hat.»
    «Aha.» Stadler lehnte sich gegen die Wand. Der Gestank machte ihm mehr zu schaffen, als er gedacht hätte. Vielleicht wurde er alt. Dünnhäutig. «Ich fahr dann mal ins Präsidium. Ruf mich an, wenn’s was Neues gibt.»
    «Mach ich.» Sie lächelte ihn an. Bestimmt würde sie etwas finden, schon allein, damit sie einen Vorwand hatte, mit ihm zu reden.
    Stadler nickte ihr zu und verließ die Wohnung. Auf dem Weg zu seinem Wagen machte es plötzlich klick! in seinem Kopf. Jetzt wusste er, weshalb ihm der Anblick der verstümmelten Leiche so bekannt vorgekommen war.

Donnerstag, 17. Oktober, 15:50 Uhr
    «Vergessen Sie
CSI
, vergessen Sie
Das Schweigen der Lämmer
, vergessen Sie, was Sie im Fernsehen gesehen oder in einem der zahllosen Bücher zu diesem Thema gelesen haben. Vergessen Sie alles, was Sie glauben, über Serienkiller zu wissen. Denn in Wahrheit wissen Sie nichts. Absolut nichts.»
    Liz Montario lehnte sich gegen das Pult und ließ ihren Blick langsam durch den Seminarraum gleiten. Alle Augen waren auf sie gerichtet, niemand sprach, niemand rührte sich auch nur. «Gut», schloss sie ihren Vortrag. «Das war’s für heute. Bis nächste Woche lesen Sie bitte die beiden ersten Texte im Reader und überlegen sich, zu welchem Thema Sie ein Referat halten möchten. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.»
    Als Liz um das Pult herum ging, erwachte der Raum wieder zum Leben. Fingerknöchel trommelten Beifall auf die Tische, Stimmengemurmel setzte ein, Stühle wurden quietschend nach hinten geschoben, ein Handy piepste.
    Liz stopfte ihre Unterlagen in die Tasche, wandte sich ab und schritt hinaus auf den Korridor. Schnell weg, bevor einer der zahlreichen übereifrigen Studenten sie in ein Fachgespräch verwickelte. Irgendeiner versuchte es immer, egal, wie unnahbar sie sich gab. Und nicht selten steigerte er sich dabei mit einer Leidenschaft in das Thema, die weit über reines Fachinteresse hinausging. Liz packte die Tasche fester und lief auf den Fahrstuhl zu. Wenn man auf Soziopathen spezialisiert war, zog man allerhand merkwürdige Gestalten an. Auch solche, auf die die Täterprofile, die sie mit den Studenten durcharbeitete, erschreckend genau zutrafen.
    Im zweiten Stock stieg Liz aus. Hier lagen die Büros der Mitarbeiter der Psychologischen Fakultät. Der Gang war dunkel, eine der Türen nur angelehnt, dahinter war leises Gemurmel zu hören, ansonsten herrschte Stille. Es war Donnerstagnachmittag, die meisten Kollegen waren bereits auf dem Heimweg. Liz teilte sich einen Raum mit zwei weiteren Lehrbeauftragten und einer studentischen Hilfskraft. Sie hatte nicht einmal einen eigenen Schreibtisch, doch das störte sie nicht, da sie lediglich einen Tag in der Woche an der Universität verbrachte. Zudem nutzte sie das Büro nur, um ihre Sachen abzustellen, und für die Sprechstunde, die sie am Vormittag abhielt. Wenn sie gewollt hätte, wäre sie längst mit einem eigenen Lehrstuhl an einer renommierten Hochschule vertreten. Schließlich war sie so etwas wie ein Star auf ihrem Gebiet. In ihrer Doktorarbeit über Serienmorde hatte sie einen Täter entlarvt, von dessen Existenz die Polizei bis dahin noch nicht einmal etwas geahnt hatte. Erst nach der Veröffentlichung ihrer Dissertation war eine Mordkommission ihrer Theorie nachgegangen und hatte eine Serie von Verbrechen aufgeklärt, die inzwischen als sogenannte Kanalmorde bekanntgeworden waren. Obwohl manche Kollegen wegen des Rummels, der um sie gemacht wurde, die Nase rümpften und ihre Methode als unwissenschaftlich verunglimpften, hatten ihr mehrere Universitäten in ganz Europa hochdotierte Stellen angeboten. Doch sie hatte abgelehnt. Sie wollte unabhängig bleiben, sich nicht festlegen, und das Geld brauchte sie auch nicht.
Verborgene Muster
, eine Version ihrer Doktorarbeit, aus der sie sämtliche Fußnoten und Dutzende Fachbegriffe gestrichen hatte, damit sie den normalen Leser nicht überforderte, war ein Bestseller und verkaufte sich auch ein Jahr nach Erscheinen noch immer unglaublich gut. Sie erhielt ständig Anfragen für Vorträge, Lesungen oder Interviews, die sie jedoch alle ablehnte. Das Letzte, was sie wollte, war ihr Bild in der Zeitung. Eigentlich wollte sie auch nicht unterrichten. Den Lehrauftrag hatte sie nur angenommen, damit
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