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Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten
Autoren: Marcel Feige
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zutage und schnurstracks in seinen Mund beförderte. Zufrieden schmatzte er, ohne sich daran zu stören, dass ein Großteil seines Abendmahls in seinen speckigen Bart bröckelte.
    Er hörte sie nicht nahen. Erst als sie vor ihm stehen blieb, schaute er auf. Sofort glitt ein aufrichtiges Lächeln über seine Lippen. »Du bist wieder da«, freute er sich, auch wenn er für Sekunden nicht wusste, wie er sich verhalten sollte. Denn neben ihr stand ein Hund, der ihm seine Schnauze argwöhnisch schnüffelnd entgegenstreckte. Aber dann warf der Mann alle Zweifel über Bord und erhob sich hustend. »Beatrice«, krächzte es aus seinem Bart, und er umarmte sie mit fetttriefenden Fingern. Doch das machte ihr nichts. Kleidung konnte man waschen, und sie blieb trotzdem die gleiche; Gefühle, die man verletzte, waren nicht zu ersetzen.
    Auch Buck hatte nun beschlossen, dass von Elmi keinerlei Gefahr ausging und tapste schwanzwedelnd um ihn herum. »Feiner Hund«, befand Elmi, als er von Beatrice abließ.
    »Das ist er«, pflichtete Beatrice bei.
    Elmi wies auf die Matratze seiner Pappbehausung. »Magst du dich setzen? Ich weiß, ist nicht das North Side.«
    »Aber ich fühle mich wohl hier«, entgegnete sie. Nicht weit von ihm stand sein Einkaufswagen mit dem löchrigen Mantel und den Zeitungen, die ihm bei der Altpapiersammlung ein paar Cents einbrachten.
    Obwohl die Zeit drängte, setzte sie die Reisetasche ab und ließ sich neben ihm nieder. Den Rucksack behielt sie auf dem Rücken. Er schaute sie nur lächelnd an, und sie gönnte ihm für einen Augenblick die stillschweigende Freude der Nähe eines Menschen. Dann sagte sie: »Ich möchte dich um etwas bitten.«
    Er wandte ihr sein fleckiges Gesicht zu. Trotz der Dunkelheit entdeckte sie die Falten darin, die das Leben auf der Straße hinterlassen hatte. Was hast du erwartet? Dass sein Leben besser geworden ist?
    Sie sagte: »Ich muss wegfahren, und ich würde mich freuen, wenn du auf Buck aufpassen würdest.«
    Er blickte auf Buck herab. Der Bobtail hatte es sich auf dem Abluftgitter bequem gemacht, und die warme Luft, die entströmte, ließ ihn in seinem dicken Fell hecheln. Es sah aus, als würde er grinsen. Elmi grinste zurück. »Brauchst dir keine Sorgen machen«, erklärte er im Brustton der Überzeugung. »Passe auf ihn auf. Wird mein bester Freund.«
    Beatrice senkte den Kopf. »Aber da ist noch etwas.«
    »Hm?«, machte Elmi.
    Sie kramte in ihrer Jackentasche und brachte etwas zum Vorschein. Sie drückte es ihm in die Hand. Als er sah, dass es sich um ein Bündel Geldscheine handelte, wehrte er sich dagegen, doch sie bestand darauf, dass er das Geld an sich nahm.
    »Leonard«, erklärte sie ihm und wählte bewusst seinen vollständigen Namen. Er sollte merken, wie wichtig ihr die Angelegenheit war. »Nimm dieses Geld und kaufe dir ein Busticket. Fahre mit Buck ans Meer, nach Lindisfarne. Gehe dort zu Eadfrith. Man kennt ihn, man wird dir den Weg zu ihm beschreiben. Sage ihm, ich hätte dich geschickt. Er wird verstehen. Er wird dir das Haus meiner Tante überlassen. Dort kannst du leben.«
    »Das ist…«, er rieb sich den Bart, »… das…«
    Sie berührte seine Schulter und streichelte über die fleckige Jacke. »Du hast mich gerettet. Es ist das Mindeste, was ich für dich tun kann.«
    Elmi rang nach Worten. Es war so lange her, dass ihm etwas Gutes widerfahren war, dass er verlernt hatte, damit umzugehen. Daher fragte er sie nur: »Wirst du nachkommen?«
    Mit der Fußspitze schob sie ihm die Reisetasche rüber. »Nimm sie bitte mit. Da ist alles drin, was mir wichtig ist. Ich brauche es nicht. Erst wenn ich wiederkehre. Falls ich wiederkehre.« Sie fuhr dem Bobtail ein letztes Mal durchs Fell. »Mein lieber Buck.« Der Rüde sah sie mit treuherzigen Augen an, aber er schien zu verstehen. »Pass mir auf Buck auf.« Ihre Stimme klang belegt, als sie Elmi ansah. »Und versprich mir, reise noch heute ab.«
    »Das mache ich. Natürlich passe ich auf. Und diesmal mache ich keinen Fehler.«
    Sie lächelte dankbar. Buck war bei ihm in guten Händen. Sie schenkte ihm einen letzten Blick und lief in Richtung Hauptstraße davon. Sie schaute nicht zurück. Es hätte den Abschied nur schwerer gemacht.
    Vielleicht würde sie die beiden wiedersehen. Wenn es so sein soll, ja. Und wenn nicht, dann nicht. Sie überquerte die Straße und winkte einem Taxi. Da fiel ihr ein, dass sie Elmi noch eine Nachricht für Eadfrith hatte mitgeben wollen.
    »Bitte warten Sie«, bat sie den
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