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Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten
Autoren: Marcel Feige
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ein Foto von Ihnen zeigte.«
    Philip antwortete nicht. Berger blickte verkniffen drein. »Was sie mir erzählten, nun, gut möglich, dass Sie Schlimmeres verhindert haben.« Seine Miene löste sich, und er sagte: »Ich muss meinen Verstand verloren haben. Fragen Sie mich nicht, warum, aber Sie bekommen Ihre Zeit.«
    Philip lockerte die Arme. Alle Anspannung wich von ihm. Zum ersten Mal seit langem fühlte er sich befreit. Plötzlich verspürte er sogar Hunger. Der Kommissar sah ihn an: »Jetzt sind Sie dran. Was haben Sie mir zu sagen?«
    »Carlos.«
    »Dieser Gauner, der in Ihrer Zelle saß? Ein kleiner, schmieriger Ganove, ein Zuhälter vielleicht. Aber Kinderschänder? Nein, das glaube ich nicht.«
    »Ich auch nicht. Aber fragen Sie einen der Polizisten auf Ihrem Revier nach Lisa.«
    »Welchen?«
    Klein, gedrungen, dicklich. Ein Schwanz, der die Holzdielen berührt. »Ich weiß nicht wie er heißt. Ich weiß nur, er hat rote Haare. Er hatte Dienst, als sie mich vernommen haben.«
    Berger brauchte eine Weile, bis er im Geist die Kartei mit seinen Kollegen durchsucht hatte. Er nickte: »Was ist mit ihm?«
    »Wo wohnt er?«
    Berger dachte nach. Dann sagte er: »In Neukölln.«
    Alles fügte sich zu einem Bild. Der abgedunkelte Raum. Die Scheinwerfer. Die Kamera. Lisa. Neukölln, durch das Philip vor nicht wenigen Stunden mit der U-Bahn gefahren war. Wo auch seine Großmutter gelebt hatte. Du hast mir geholfen, dachte er und spürte die Tränen, die sich in seinen Augen sammelten. Jetzt helfe ich dir. »Fahren Sie zu ihm«, sagte er erstickt.
    »Sie wollen mir sagen, er weiß…«
    Philip nickte. »Carlos hat ihn erpresst. Carlos wusste etwas.«
    »Was?«
    Papperlapapp!
    »Etwas, was einem Polizeibeamten das Risiko wert ist, einen schmierigen Ganoven und einen Mordverdächtigen aus der Gewahrsamszelle zu befreien.«
     
     
    Berlin
     
    Die Simon-Dach-Straße lag im Ostteil von Berlin und war ein Phänomen. Auf 500 Metern folgte eine Kneipe der anderen. Das alleine war, zugegeben, nichts Außergewöhnliches und bot inzwischen jede mittlere Kleinstadt, die etwas auf sich hielt. Das Erstaunliche an der In-Meile von Berlin aber war das ungezwungene Multikulti der einzelnen Lokalitäten. Nahezu jede Szene – vom Punk und Rocker über den Britpopper und Grunger bis hin zum HipHopper und Technofreak – fand mindestens eine, meist zwei oder drei Bars für sich und ihr musikalisches Faible. Selbst Senioren konnten in der Dachkammer oder Bei Else einen gemütlichen Abend bei Wein und Kerzenschein verbringen. Kurzum, die Simon-Dach-Straße bot einen Querschnitt durch die Berliner, ja, im Grunde sogar durch die deutsche Bevölkerung.
    Als Philip an diesem Freitagabend zum Habana stapfte, hielt ihn der Anblick der in rote und blaue Neonlichter getauchten Cocktailbar wie ein rettender Anker der Normalität fest. Ein trügerisches Gefühl, wie sich herausstellte, als er die Kneipe betrat. Nur wenige Gäste waren im Inneren versammelt und hockten durchnässt vor ihren Drinks, in der Hoffnung, dass der Alkohol die Kälte aus ihren Gliedern vertrieb.
    »So ein Mistwetter«, begrüßte ihn Ken, der in einer Sitznische am Fenster wartete. »Da geht normalerweise keine Sau vor die Tür.«
    Philip streifte sich die Jacke ab. Das Tauwasser tropfte in Pfützen auf die Holzdielen. Er ließ sich auf der Bank seinem Kumpel gegenüber nieder. »Tut mir Leid«, sagte er, »aber ich wollte mit dir reden – und ich wollte endlich was Gescheites in den Magen bekommen.«
    Unter der Fensterbank gluckerte die Heizung und ließ das weiße Gestöber draußen mit einem Mal fast unwirklich wirken. Die Kellnerin kam an ihren Tisch. Sie sah mächtig gelangweilt aus.
    »Nichts los heute, oder?«, fragte Ken.
    »Nee«, grummelte sie und fuhr sich durch ihr struppiges Haar. »Und das an einem Samstag.«
    »So schlimm?«
    »Noch viel schlimmer«, schimpfte sie.
    »Dabei fängt der Winter gerade erst an.«
    Philip bestellte einen Caesars-Chicken-Salat und einen Hemingway Sour. »Salat können wir noch machen«, meinte das Mädchen. »Aber kein Hühnchen dazu. Die Lieferungen stecken im Stau auf der Autobahn.«
    »Ist egal«, sagte Philip. »Dann Caesars-Chicken-Salat eben ohne Chicken.«
    Als die Kellnerin verschwunden war, sagte Ken: »Du hast am Telefon gesagt, die Sache mit der Polizei sei geklärt. Was ist passiert?«
    »Erzähl du mir lieber, was du heute gemacht hast. Erzähl mir vom normalen Leben in Berlin.«
    Ken lachte auf. »Ich und normales
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