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Schwein gehabt

Schwein gehabt

Titel: Schwein gehabt
Autoren: Martin Springenberg/Michael Bresser
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meiner Essener Stammkneipe ihre Deckel bezahlten. Ich hielt an. Nicht, weil ich die idyllische Aussicht genießen wollte, sondern weil die Fahrradkette abgesprungen war.
    Nach zehn Minuten erfolgloser Reparaturarbeit waren die Klamotten versaut und meine sämtlichen Geduldsfäden gerissen.
    » Hohoho , kann ich dir hilfe ?«
    Ich drehte mich um. Was sich da auf mich zubewegte, war nicht etwa Santa Claus auf Fremdsprachenreise, sondern ein bartloser Hüne mit den Händen in den Hosentaschen. Er trug grüne Gummistiefel, die Hose erinnerte an Schweizer Käse, der Hosenstall stand offen, das karierte Hemd war falsch geknöpft. Die Haare waren offenbar seit der Einschulung nicht mehr gewaschen worden und bei seiner Brille fehlte ein Glas. Das hatte er wohl herausgebrochen, um wenigstens auf einem Auge was zu sehen, denn das andere Glas war mit einer dicken Dreckkruste überzogen.
    »Warte du ein Moment, ich tu festmachen !«
    Er hockte so schnell neben dem Fahrrad, dass ich nur staunen konnte; noch mehr verblüfften mich die Hände, die er aus den Taschen holte, um die Kette zu richten.
    Wenn normale Menschen mit Messer und Gabel aßen, musste er wahrscheinlich Sense und Forke nehmen.
    »So, das war’s! Übrigens, mein Name heißt Stefan, wer sein du ?«
    »Dieter.«
    Ich hatte keine Lust auf Konversation. Daher bedankte ich mich, sprang aufs Fahrrad und radelte los.
    Das musste der obligatorische Dorftrottel gewesen sein. Auf dem restlichen Weg zur Kirche hing ich nur einem Gedanken nach: Wie hatte er mit diesen Schaufeln die Kette reparieren können?
    Ich stellte das Fahrrad auf dem leeren Kirchhof ab. Der Vorteil dieses Vehikels war, dass man es nicht abzuschließen brauchte, denn wer klaute schon fahrenden Rost?
    Ich klopfte an das Kirchportal und trat ein.
    »Guten Tag, sind Sie Nannen ?«
    Ich schaute nach vorne zum Altar und erkannte einen unsagbar fetten, kahlköpfigen Greis in Priesterkluft.
    »Ja. Pfarrer Wilpert?«
    »Sie sind eine Stunde zu spät; dass mir das nicht noch einmal vorkommt. Ich habe weiß Gott andere Dinge zu erledigen, als auf Sie zu warten .«
    Frau Schumann hatte verschwiegen, dass ich schon um drei hätte an der Kirche sein sollen, aber das Warten hatte den Priester Gott sei Dank nicht umgebracht.
    »Jetzt bin ich hier !«
    »Das ist auch Ihr Glück. In fünf Minuten wäre ich nämlich weg gewesen .«
    »Frau Schumann meinte, ich soll Simons Organistenposten übernehmen ?«
    Allmählich wurde ich es leid, mich aus fünfzehn Metern Entfernung zu unterhalten, und schritt Richtung Altarraum. Je mehr sich die Distanz verringerte, desto fetter wurde der Dorfgeistliche. War ich froh, dass ich nur das Schwein und nicht auch ihn versorgen musste.
    »Wie sehen Sie denn aus !« , blökte er mich an. »Ein Organist muss gewaschen sein .«
    Mir fiel ein, dass ich über und über mit Fahrradöl beschmiert war.
    »Soll ich orgeln oder an einer Modenschau teilnehmen? Ich kann gerne die Tür von außen zumachen«, erwiderte ich, denn irgendwo hatte meine Freundlichkeit ihre Grenzen.
    »Wenn wir nicht so dringend einen Organisten bräuchten, würde ich Sie hinauswerfen«, spie er mich mit hochrotem Kopf an, »kommen Sie, ich zeige Ihnen das Instrument .«
    Wir marschierten auf die Empore; er voran. Auf den letzten Stufen schnaufte Wilpert dermaßen, dass ich jede Sekunde mit einem Herzinfarkt rechnete und mich schon unter dem Fleischberg begraben am Fuße der Treppe liegen sah.
    Schließlich kamen wir doch lebend an. Er ließ sich auf eine Bank fallen, um den Blutdruck auf zweihundertfünfzig zu senken.
    Das gesuchte Objekt war ein Koffer mit braunen und schwarzen Tasten. Wüsste ich es nicht besser, hätte ich vermutet, dass der vorherige Organist Stefan Dorfdepp hieß, denn an der Hälfte der Tasten waren Teile abgebrochen und die Orgelpfeifen sahen aus, als hätte Stefan sich nach jeder Messe dagegen gelehnt.
    »Hierauf soll ich spielen ?«
    »Sie können auch etwas anderes benutzen. Bis nächsten Sonntag haben Sie Zeit, die Lieder einzustudieren:«
    Er kramte einen Zettel aus der Tasche und reichte ihn mir. Darauf waren in einer kaum zu entziffernden Handschrift mehrere Zahlenkombinationen notiert.
    »Das Gesangbuch liegt dort auf dem Schemel. So, ich muss los, eine Krankensalbung. Bis nächsten Sonntag.«
    Während er ächzend davonrollte, grübelte ich darüber nach, was ich ihn noch hatte fragen wollen.
    »Was bekomme ich dafür, dass ich mir jeden Sonntag meine Finger an den Tasten aufreiße
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