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Schweigfeinstill

Schweigfeinstill

Titel: Schweigfeinstill
Autoren: Friederike Schmöe
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niederließ. Er musste denken, dass mein Leben in zwei Kategorien aufgeteilt war: Männer und Sonstiges. Andere Menschen warteten mit komplexen Hobbys auf. Für mich gab es nur das Schreiben. Da bedeuteten die Gänse wenigstens ein klein wenig wirkliches Leben.
    »Die waren ursprünglich von einem Kunden als Bezahlung gedacht. Ich war dumm genug, einem Kunden die Memoiren zu schreiben, der mir zwei Gänse anstatt einer Banküberweisung zustellte.«
    Keller kritzelte Notizen in sein Büchlein.
    »Beschreiben Sie mir die anderen Gäste.« Der Espresso fauchte, und er goss zwei Tässchen voll. Die Männer fühlten sich an diesem Sonntag bei mir außerordentlich heimisch.
    »Sie meinen, im Piranha?«
    Er dachte vermutlich, ich wäre geistig retardiert. Sah mir zu, wie ich meine Portion Espresso in einem Zug leerte, und ich wurde mir wieder meiner 80 Kilo bewusst. Vollweib, sagte Juliane über meinen Typ. Juliane behauptete, sobald nur eine Frau im Zim mer wäre, hätten die Kerle keine Vergleichsmöglichkeit mehr. Sie bewundern dich, egal, wie viel Speck dir auf den Hüften schwabbelt, Herzchen. Ich war mir da nie so sicher. Jedenfalls verschüttete ich Espresso, als ich mir die nächste Tasse einschenkte, und machte in den traurigen Augen des Hauptkommissars vermutlich einen verdächtigen Eindruck. Aber was hatte ich getan? Der Furzknoten war definitiv selber gegen den Pfeiler gerast. Vielleicht gab es ein Gesetz, das Pfeiler an Auffahrten verbot.
    Wir schwiegen beide. Er auf dem Barhocker am Fenster, ich hinter dem Herd, die Hände tief in den Jeanstaschen. Schließlich legte ich los. Erzählte, wen und was ich gestern gesehen hatte: Carlo Fidelios Glitzerjackett, Julianes Mieder, das Stroboskoplicht, ein paar Leute aus der Umgebung, Stammgäste wie ich. Auch das Musikprogramm konnte ich aufsagen, was mich beruhigte, denn dadurch bewies ich mir, dass ich durch Alkoholkonsum und den Schock am frühen Morgen nicht dement geworden war. Die Koksspuren auf dem Klo im Piranha ließ ich weg.
    »Sie beobachten sehr genau«, sagte Keller schließlich.
    »Sie denken, wenn ein Zeuge zu genau beschreibt, was er gesehen hat, stimmt etwas nicht«, erwiderte ich. »Dann hat er sich das vorher zurechtgelegt. Habe ich aber nicht.«
    Keller legte seinen Stift auf mein Barbrett.
    »Ich habe ständig mit den Erinnerungen von Leuten zu tun. Manche haben schon Probleme, sich ihre eigene Haarfarbe zu merken«, fügte ich hinzu. »Andere erinnern sich an die Farbe des Brautkleides ihrer Tante Agathe bei deren dritter Eheschließung.« Und im Übrigen sind Erinnerungen nichts als Täuschungen, wollte ich hinzufügen, offizielle Lügen und hübsche Fassaden. Ich ließ es bleiben. Als Ghostwriterin gewöhnte man sich daran, zu lügen. Dass sich die Grenze zwischen Wahr und Falsch so einfach nicht ziehen ließ. Alles, was ich erzählte, war Fiktion. Meine Biografien inszenierten die Leben meiner Kunden. Die Erinnerungen eines jeden Menschen verfärbten sich. Auch wenn wir es nicht wahrhaben wollten.
    Endlich kam Jassmund zurück. Sofort wurde die Stimmung gelöster. Ohne abzuwarten, griff er sich Kellers mittlerweile leere Espressotasse und schenkte sie sich voll. Ich ahnte es. Meine Sachen waren nicht mehr da. Sonst hätte er sie unter dem Arm hier reingetragen.
    »Bertram Kugler«, sagte er, »so heißt der arme Teufel. Die Unterlagen, die Sie vermissen, sind nicht im Wagen.«
    Das war’s dann wohl. Sie würden mich für verrückt erklären und ihrer Wege gehen, um ein Protokoll zu schreiben.
    »Kennen Sie jemanden dieses Namens?«, forschte Jassmund. Er hatte wasserblaue Augen.
    »Nein.«
    »Woran arbeiten Sie zurzeit?« Das kam von Keller.
    »Meine Kunden laufen unter Beichtgeheimnis. Diskretion ist mein Lebensunterhalt. Wenn sich jemand in meiner Branche verquatscht, kann er den Job vergessen.«
    Er sah mich auf eine Weise an, die meinen Wunsch, mich zu verteidigen, ins Absurde steigerte. Ich durfte ihm nichts über meinen augenblicklichen Auftraggeber sagen. Sollten sie mich vorladen, mit einem richterlichen Beschluss oder was auch immer die Polizei dafür brauchte, aber bis die Abbruchkante erreicht war, würde ich dicht halten.
    »Meine Spezialität sind Ratgeber«, sagte ich. »Rhetorik, Gedächtnistraining, Zeitmanagement. Meine Kunden sind ziemliche Cracks auf ihrem Gebiet, aber sie haben keine Zeit, ihre Bücher selber zu schreiben. Und die meisten haben auch keine Ahnung, wie man ein Buch plant, gliedert, schreibt und verkauft. Das
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