Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schweigfeinstill

Schweigfeinstill

Titel: Schweigfeinstill
Autoren: Friederike Schmöe
Vom Netzwerk:
tektonische Platten der Seele gegeneinander. Dann folgten Erdbeben, Fluten, Chaos. Ich wollte nicht an damals denken. Nicht jetzt, solange die Bullerei bei mir im Haus war. Dieses Haus sollte eine Zuflucht sein, eine Parzelle der Sicherheit. Dieses Refugium gab ich nicht auf, obwohl es mir im Augenblick eher wie eine Kältekammer erschien. Ich tupfte Creme auf das Bläschen an meiner Lippe. Verfluchter Herpes. An einem Stück Blumendraht baumelte über mir eines meiner Lieblingshaikus von Takako. Die Einsamkeit, ach – ist Tag für Tag das Leben – von Wandergänsen . Wie wahr. Genervt ruckte ich an meinen Jeans. Diese Hüftjeans waren nichts für mich. Wenn ich nicht aufpasste, sah man die Narben, da musste der Pulli nur einen halben Zentimeter verrutschen.
    In der Küche saß noch einer in Zivil und guckte mich neugierig an. Ein Riese, rund wie ein Baumkuchen, mit Vollbart, in dem ein mikroskopischer Rest Eidotter hing.
    »Hauptkommissar Peter Jassmund«, sagte er. »Sie hatten wirklich keinen angenehmen Sonntagvormittag.«
    Konnte man so sagen. Jassmund brachte Sonne herein in seinem ausgeleierten Sweatshirt und den Mephisto-Tretern. Seine Stimme tönte voll, sein Lächeln sah ehrlich aus. Ein klein wenig mitleidig, genau die Mischung, die ich jetzt brauchte. Er griff ungeniert in den Obstkorb und suchte sich eine Mandarine, die noch nicht kompostiert aussah. »Ich darf doch? Unser Frühstück ist schon eine Weile her.«
    Unser Frühstück? Schwul sahen sie nicht aus. Frühstückten Polizisten zusammen? Unter Kollegen? Mit dem Rechtsmediziner, der Spurentechnik und dem Staatsanwalt?
    »Das Piranha ist bekannt. Ich wollte schon länger mal hin. Gute Musik, gute Drinks.« Er warf einen Seitenblick auf seinen Kollegen und marschierte durch meine Küche.
    Hier ist es an der Zeit, etwas über mein Haus zu sagen. Ich meine, vor einigen Jahren hätte ich mich kaputtgelacht, wenn jemand mir prophezeit hätte, dass ich mir jemals ein Eigenheim zulegen würde. Aber die Zeiten änderten sich. Irgendwann wurden die meisten Nomaden sesshaft. Jahrelang war ich umhergeirrt wie ein Zombie. Schließlich hatte ich einen Kredit aufgenommen und dieses Haus gekauft. Es war in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts in einer Talfalte zwischen Ohlkirchen und Starnberg gebaut worden, als man flache Bungalows schick fand. Der Eigentümer hatte es in den 90ern aufgegeben. Danach hauste eine WG darin, in der einiges an Drogen konsumiert wurde. Jedenfalls waren die Bewohner nicht in der Lage, die nötigen Renovierungsarbeiten zu verrichten. Die Bude verkam, und schließlich zog die WG aus und das Haus fiel der Bank in den Rachen.
    Mir war es eigentlich komplett egal, wo ich vor Anker ging. Hauptsache, ich hatte große Fenster nach Westen und Abendsonne. Meine Wahl fiel auf das Münchner Umland. Vielleicht, weil auch meine Vorfahren durch einen Winkelzug der Geschichte hier angesiedelt wurden. Die kniffligen Weichenstellungen meines Lebens wurden von einem übergeordneten Stellwerk vorgenommen, auf das ich keinen Einfluss besaß. Strandgut konnte schließlich auch nicht bestimmen, an welcher Küste es verrotten wollte.
    Als ich im Sommer einzog, richtete ich zunächst die Wohnräume her: drei Zimmer, eine riesige Wohnküche und ein Bad. Mit dem Keller beschäftigte ich mich nur en passant, indem ich ein paar Mausefallen aufstellte. Zwei Zimmer bekamen neue Böden und einen vernünftigen Anstrich. Eines davon war mein Schlafzimmer, durch das man gehen musste, um ins Bad zu kommen, das andere das Arbeitszimmer. Das dritte war noch Baustelle. Der Parkettboden hatte Löcher, es rieselte von Wänden und Decke. Ich hatte mir vorgenommen, ab dem Frühjahr auch dieses Zimmer zu renovieren, aber ein paar Monate brauchte ich Pause vom Dielenschleifen, Pinseln und den vielen Fahrten zum Baumarkt. Auch die Außenansicht meines Eigenheims war nicht gerade Nummer eins der Charts. Der flüchtige Betrachter sah den Verfall. Der Putz bröselte grau, und das gesamte Grundstück, bis auf den Gänsefreilauf, bestand jetzt im Winter aus Schlamm. Das Gärtnern würde ich noch lernen müssen.
    Mein Bruder Janne hatte mir bei den schwersten Arbeiten geholfen, sofern seine schnippische Ehefrau es ihm gestattete. Sogar sein ältester Sohn Theo hatte mitgepinselt. Der schönste Raum war die Wohnküche. Janne und ich hatten die Wand zwischen Diele und Küche herausgebrochen und dadurch den Raum auf stattliche 35 Quadratmeter vergrößert. Ich lebte quasi in der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher