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Schweigfeinstill

Schweigfeinstill

Titel: Schweigfeinstill
Autoren: Friederike Schmöe
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spießige Cordjackett machte den Eindruck jedoch schnell zunichte. Hinter ihm warteten zwei Uniformierte. Er hielt mir eine Hand hin, sagte »Hauptkommissar Nero Keller« und musterte mich von oben bis unten. Jetzt zehn Kilo weniger auf den Hüften zu haben, hätte meinem Selbstwertgefühl Auftrieb gegeben. Ich straffte die Schultern.
    »Kea Laverde«, stellte ich mich vor und bat ihn in die Küche, wo ich die aufgebackene Pizza gerecht in Viertel teilte und sie den Polizisten anbot. Jeder wusste, dass Polizeibeamte viel zu wenig verdienten, sich die Uniformklamotten von ihrem Gehalt kaufen mussten und seit der Polizeireform auch noch mehr arbeiteten als je zuvor. Sie bedankten sich artig, die beiden Uniformierten und Herr Keller. So eine Tiefkühlpizza war ja nicht üppig. Jeder schluckte zweimal, und das war’s. Die Uniformierten gingen, der Hauptkommissar blieb neben mir auf dem Barhocker sitzen und stellte Fragen.
    »Sie kannten den Mann nicht?«
    »Überhaupt nicht.« Ich scharrte mit den Füßen. Natürlich dachte er wer weiß was und lag richtig damit. Oder zumindest nicht ganz falsch.
    »Wissen Sie«, beeilte ich mich zu erklären, »ich habe einfach meinen Spaß daran, ab und zu einen Mann mit heimzunehmen. Für eine Nacht.« Ich wollte hinzufügen, dass ich über 18 sei, hielt es aber für überflüssig. Meine 38 sah man mir an. Gut, vielleicht schätzte er mich auch auf 36. Auf weniger garantiert nicht. Außerdem hatte ich den Eindruck, dass er zur anderen Seite gehörte. Zu den Leuten mit althergebrachten Moralvorstellungen, die immer Spießer bleiben würden, auch wenn sie auf tolerant machten.
    Er warf mir einen Blick zu, aus torfbraunen Augen. »Schon o. k.«, sagte er. »Es ist also niemand gewesen, der üblicherweise im Piranha verkehrt?«
    »Nein. Wissen Sie, das Piranha ist das Ziel in Ohlkirchen. Wer am Samstagabend nach Ohlkirchen fährt, will dorthin. Salsa und Merengue tanzen, kubanische Drinks schlürfen, Leute kennenlernen.«
    Kellers Blick verfing sich im Winterdunst vor meinem Fenster.
    »Wir werden uns im Piranha umsehen«, sagte er. »Mit wem haben Sie dort gestern geredet?«
    Der stellte Fragen! Geredet! In dieser Bar konnte man ab 22 Uhr abends nicht reden. Man brüllte oder hielt die Klappe. Im Übrigen gab es Carlos Privatgemach, wo ich schon ab und zu mit einem Mann ein paar hübsche Momente hatte, auf einem violetten Sofa. Aber ich wollte Carlo nicht zu sehr ausnutzen.
    »Im Piranha wird nicht viel geredet«, erklärte ich. »Das ist ein Tanzclub.«
    »Und mit wem haben Sie getanzt?«
    Auch so eine Frage. Man tanzte eben einfach.
    »Meine Freundin Juliane Lompart war bis zum Schluss mit von der Partie, dann fuhr sie mich heim.« Ich sagte Julianes Adresse auf, verschwieg dem Hauptkommissar aber, dass Juliane 76 war. Seniorinnen vermutete er sicher nicht im Club, er fand, ab 60 sollten die Leute die Abende vor dem Fernseher verbringen und Wetten, dass …? schauen. Es stand auf seiner Stirn. In Blockbuchstaben.
    »Carlo Fidelio kennt mich. Er ist der Barkeeper.« Mir fiel ein, dass ich Carlo unbedingt fragen musste, ob er Stummelzahn im Club gesehen hatte. »Ansonsten kannte ich ein paar Leute vom Sehen. Aber es waren nicht viele Ohlkirchener da. Das Piranha ist ein Club, wohin die Leute von außerhalb kommen. Die Musik ist gut, die Cocktails sind legendär.«
    »Frau Lompart fuhr Sie heim? Kam sie mit ins Haus?«
    »Nein. Sie setzte mich ab und fuhr weiter. Sie spielt meistens Taxi. Macht sich nicht so viel aus Drinks.« Außer aus dem einen kubanischen, fügte ich im Stillen hinzu, aber den trank sie nur in ihren eigenen vier Wänden.
    Keller kritzelte alles in ein Notizbuch. Mir fielen seine großen Hände auf. Ziemlich muskulöse Hände.
    »Heute Morgen kamen sie in Ihre Küche und sahen einen Fremden.«
    »Ja.« Das Gesicht, die Fönfrisur, die Stummelzähne. Und jetzt räumten sie das, was von ihm übrig war, in einen Zinksarg. »Entschuldigung!« Ich stürmte ins Bad.
    Dort beruhigte ich mich. Ich hatte anderes gesehen und am eigenen Leib verspürt. Hatte lange nicht daran gedacht, aber es gab diese Schnittstellen im Leben, da bewegte sich irgendetwas, und schon geriet das mühsam erarbeitete Gleichgewicht aus den Fugen. Ich betrachtete mein Gesicht im Spiegel. Bisschen blass, trotz des Make-ups. Zu viele Erinnerungen. Ich löste das Haargummi, kämmte mich und fasste die Strähnen zu zwei lockeren Zöpfen zusammen. Erinnerungen und neue Ereignisse stießen bisweilen wie
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