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Schweigfeinstill

Schweigfeinstill

Titel: Schweigfeinstill
Autoren: Friederike Schmöe
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in den Espresso und kippte die erste Tasse. Goss den zweiten ein, während ich auf den Motor lauschte, der röchelnd ansprang. Mein Besucher gab Gas. Ich sollte mir die Autonummer merken, nur für den Fall, dachte ich, aber ich war zu müde und brauchte ein Aspirin. Oder zwei. Rasch rutschte ich vom Barhocker und ging ins Bad, wo ich meinen übel zugerichteten Erste-Hilfe-Schrank abtastete. Glücklich schüttelte ich zwei Brausetabletten in mein Zahnputzglas und gab Wasser dazu. Ich liebte das Sprudeln von Brausetabletten in Zahnputzgläsern. Es inspirierte mich. Doch seit diesem Tag würde das sanfte Schäumen für immer überwuchert sein vom Kreischen und Knallen eines Autounfalls.
    Ich riss das Badezimmerfenster auf und beugte mich hinaus, konnte aber nichts erkennen als die schlammige Auffahrt zu meinem Haus und den maroden Schuppen am oberen Ende, an dem der Nebel leckte. Ich war im Sommer eingezogen und hatte nach und nach das Haus renoviert und Stall und Auslauf für die Gänse hergerichtet. Da war noch keine Zeit geblieben, den Schuppen zur Garage umzufunktionieren oder eine hübsche Zufahrt zu pflastern. Ich rannte in die Küche, schnappte mir auf dem Weg dahin Jeans und Pulli, quälte meine nackten Füße in die eiskalten Gummistiefel, die vor der Haustür auf mich warteten, und hopste die vier Stufen runter in den Schlamm.
    Ein Haufen qualmendes Blech klebte wie eine Bienenwabe an dem Betonpfeiler unten an der Straße. Noch heute mache ich mir Vorwürfe, dieses hässliche Teil, eine Altlast der Vorbesitzer, nicht weggerissen zu haben. Der klobige Betonklotz, an dem einst ein automatisches Tor befestigt war, sah scheußlich aus und war völlig nutzlos. Aber ich brauchte meine finanziellen Reserven, um den Kredit für den Hauskauf abzubezahlen und eine vernünftige Heizung, neue Fenster und allerhand anderen Kram einbauen zu lassen. Der Pfeiler stand ziemlich weit unten auf der Prioritätenliste.
    Ich schlitterte die Auffahrt hinunter. Feiner Regen nieselte aus den Nebelschwaden. Langsam ging ich um den demolierten Wagen herum. Als ich direkt neben dem Pfeiler stand, sah ich Stummelzahn in die Augen. Er hatte Pupillen wie eine Katze und Blut auf der Stirn. Sein Kopf sah seltsam verdreht aus. Kein Wunder, denn er schlummerte irgendwo zwischen Steuerrad und Motorhaube. Eine Windschutzscheibe gab es nicht mehr, ihre Überreste knackten unter meinen Stiefeln. Ohne nachzudenken tastete ich nach seinem Hals, um den Puls zu fühlen.
    Null.
    Ich wich zurück. Mein Bewusstsein hatte ein paar Minuten lang die Geräusche ausgesperrt, aber nun forderten sie Einlass in das Vakuum zwischen meinen Ohren. Gänseschnattern. Ein Auto weit hinten, an der Kreuzung nach Ohlkirchen. Das Heulen des Dezemberwindes oben im Wald. Ich taumelte ein paar Schritte und übergab mich in Sichtweite meines Schlafzimmerfensters. Wischte mir den Mund ab und schleppte mich ins Haus.

2.
    Juliane sagte immer , mit einem Klecks Fond de Teint im Gesicht und einer schicken Klamotte kommst du durch. Egal wie und wo und was, aber zieh dir die Lippen nach, Herzchen!
    Genau das tat ich, nachdem ich den Notruf gewählt und die Situation erklärt hatte. Ich stellte mich vor den Spiegel im Bad, band mir das wirre Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen und trug einen Hauch von Grundierung auf mein Gesicht, das die blassgrüne Farbe eines Krankenhausnachthemdes angenommen hatte. Ein Kater allein war schon schlimm genug, aber in Kombination mit Weltschmerz und Schock vernichtend. Ich wählte einen rostroten Lippenstift, der zu meinem dunklen Haar passte, tuschte die Wimpern und suchte mir einen sauberen schwarzen Pullover vom Wäscheständer. Schwarz gab Klarheit und stand mir. Die Jeans behielt ich an, stülpte ein paar dicke, schwarze Wollsocken über meine halb erfrorenen Zehen und zog Turnschuhe an.
    Ich würde durchkommen.
    In der Küche heizte ich den Herd vor und kramte meine letzte Tiefkühlpizza aus der Truhe. Jeder weiß, dass Polizisten nie zum essen kommen, und ich hatte selber noch nicht den Hauch eines Frühstücks genossen. Ich goss den kalten Espresso weg und setzte neuen auf. Da kamen sie schon. Hielten draußen auf der Straße. Ein Zivilwagen, ein Van, zwei Streifenwagen, ein Notarztwagen. Also ging es los.
    Ein baumlanger Mensch mit braunem Strubbelhaar und einem Dreitagebart stand schon unter der Tür. Seine Füße steckten in schicken italienischen Lederschuhen. Das sah toll aus zu seinen verwaschenen Jeans und dem Rollkragenpulli. Das
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