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Schweigfeinstill

Schweigfeinstill

Titel: Schweigfeinstill
Autoren: Friederike Schmöe
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ist alles meine Aufgabe.«
    Keller sah mich weiter an.
    »Eigentlich haben diese Typen es gar nicht nötig, Ratgeberliteratur zu schreiben. Sie verdienen in ihren Jobs gutes Geld, und so ein Buch gibt ja auch nicht viel her, aber für das Renommee in der Branche macht es sich gut, eine Publikationsliste vorweisen zu können. Sogar dann, wenn sie nur ein einziges Buch enthält.« Ich hatte den dringenden Wunsch, in mein Arbeitszimmer zu gehen und zu schreiben, solange mein Gedächtnis noch genug Infos über meinen momentanen Auftraggeber auszuspucken imstande war.
    »Sie schreiben also keine Autobiografien?«
    »Doch. Sicher.« Ich biss mir auf die Unterlippe. »Manchmal.«
    »Sportstars, Börsenmakler, Politiker?«
    »So ungefähr. «
    »Haben Sie noch anderswo eine Kopie Ihrer Unterlagen?«
    Ich schüttelte den Kopf. Keller glaubte mir nicht. Ich glaubte mir selbst nicht, und dennoch hielt ich seinem Blick stand.

4.
    Von der Vortreppe aus beobachtete ich , wie die Polizei ihre Siebensachen zusammenpackte und abfuhr. Jassmund und Keller stiegen in den Zivilwagen, Jassmund winkte mir zu, als er den Motor anließ, während Keller stur vor sich hinstarrte. Ich hörte die Motoren immer leiser werden, bis sie hinten bei der Kreuzung nach Ohlkirchen verklangen. Hier draußen in den Hügeln schärften sich die Ohren und wurden präzise wie Radarschüsseln. Näherte sich ein Auto oder entfernte es sich? Nahm es den Weg nach Ohlkirchen oder in die andere Richtung? Was für ein Wagen war es? Mein Gehör hatte in den vergangenen Monaten schnell gelernt, die Geräusche zu sezieren. Als ich noch in der Stadt gewohnt hatte, waren meine Ohren zu jeder Tages- und Nachtzeit mit Lärm angefüllt gewesen.
    Ich schlug die Haustür zu und sperrte ab. Menschen, die alleine leben, neigen dazu, abzuschließen und den Schlüssel von der Innenseite im Schloss stecken zu lassen, sobald sie ihr Zuhause betreten haben. Janne hatte mich darauf hingewiesen. »Wozu überlässt du mir deinen Ersatzschlüssel, wenn ich im Zweifelsfall gar nicht reinkomme, weil von innen dein Schlüssel steckt?«, hatte er gefragt. »Ich meine, immerhin könnte es ja sein, dass du einen Schlaganfall kriegst und ich dich rausholen will. Soll ich dann ein Fenster einschlagen?«
    Seit ich mit meinem neuen Auftraggeber zu tun hatte, fürchtete ich mich vor einem Schlaganfall. Ich hatte zuvor noch nie darüber nachgedacht, wie häufig junge Leute unter 40 einen erlitten. Dennoch hatte ich Janne damals erklärt, er solle nicht mit Entsetzen Scherz treiben. Daraus wurde eine kleine, schnuckelige Kabbelei, wie man sie unter Geschwistern liebt. Aber dennoch spann sich ein feiner Faden der Angst seitdem durch meinen Alltag. Nein, nicht einmal Angst. Nur ein dummes Gefühl. Ich lebte allein, und wenn mir was passierte, konnte ich in meinem Eigenheim verwesen, bevor es jemand merkte.
    Ich ging ins Schlafzimmer. Mein digitaler Rekorder wenigstens war noch da. Ich hatte ihn neben meinem Bett liegen, denn vor dem Einschlafen kamen mir meistens die besten Ideen. Aber über Andy Steinfelder gab es nichts mehr auf dem Chip. Ich hatte die letzten Interviews transkribiert, die Audiodatei auf den Laptop kopiert und die Speicherkarte im Rekorder gelöscht. Genervt drückte ich auf Play und sagte: »Scheiße!«
    Mein Blick suchte die Wäscheleine über meinem Bett. Nein, da baumelten keine Slips. Sondern Fähnchen aus Architektenpapier, auf die ich mit viel Hingabe meine Lieblingshaikus getuscht hatte. Ich liebte Haikus. Sie schärften meine Gedanken. Ihre strenge Struktur half mir herauszufinden, was ich wirklich meinte. Drei Zeilen. Mit fünf, sieben und fünf Silben. Mehr war da nicht. Manchmal, wenn ich in einem Text feststeckte, wenn gar nichts mehr ging, schrieb ich ein Haiku. Ich stand dann am Fenster und sah in diese zärtliche süddeutsche Landschaft hinaus. Auf den Hügel, an den sich der Gänsestall schmiegte, und der nach Westen hin flach auslief. In die andere Richtung erstreckten sich Pferdekoppeln und Getreidefelder. Im Winter, wenn die Felder abgeerntet waren, sah ich die roten Giebeldächer von Ohlkirchen. Die Dreizeiler hingen an meinen Wänden, Möbeln, sogar im Gänsestall. Von Hand gekritzelt, manche auch kunstvoll gezeichnet. Natürlich hielt ich auch die Verse der großen Meisterinnen hoch. Die Haikus über meinem Bett stammten allesamt von Takako. Jeder Mensch brauchte das zarte Händchen des Trostes in seinem Alltag.
    Ich schob die Lähmung und das Selbstmitleid
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