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Schweig wenn du sprichst

Schweig wenn du sprichst

Titel: Schweig wenn du sprichst
Autoren: Roel Verschueren
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nächsten Tag noch genauso dumm. Und ein Feld war ein Feld und lag in derselben Jahreszeit ein Jahr später genauso da. Und eine Tante war eine Tante. Sie wurde nur ein Jahr älter, aber erzählte jedes Mal dieselbe Geschichte, wenn er sie wiedersah. Sie gab genauso nasse Küsse und drückte ihn genauso fest an ihre Brüste, bis er beschloss, dass er alt genug geworden sei, um sich davon loszureißen. Er sehnte sich nach Abwechslung.

4
    »Sie hat gefragt, ob du mitkommst.«
    »Victor, selbst wenn es möglich wäre, mit Moira zu reisen, ich bin physisch und emotional nicht in der Lage, deine Mutter zu besuchen. Ich hoffe, dass du das verstehst.«
    Lilly dockte Moira besser an ihrer linken Brust an und schob sich selbst höher in das Kissen.
    Es war halbdunkel im Schlafzimmer, nur ein kleiner gelber Halbmond, den Victor noch vor der Geburt an die Wand gehängt hatte, spendete über dem Bett etwas Licht.
    »Warum sagst du nichts?«
    »Ich genieße jetzt einfach weiter, hier bei dir zu liegen und nicht denken zu müssen.« Victor legte seinen Kopf in Lillys Schoß und schlang seinen Arm um ihre Beine.
    »Und versuchst du auch noch mal zu deiner Tante zu gehen?«
    »Unbedingt. Zuerst meine Mutter, dann ein Tag Arbeit und dann zu Maaike.«
    »Wie hat deine Mutter auf die Neuigkeit von ihrer Enkelin reagiert?«
    »Als ich sie neulich am Telefon hatte, klang sie sehr gerührt. Aber du weißt, dass das in ihrem Fall nicht viel bedeutet.«
    »Sei nicht so hart.«
    »Du kennst meine Mutter noch nicht richtig, Liebes.«
    »He, ich habe sie zweimal gesehen, ich sage bewusst gesehen. Denn mein Niederländisch kannst du vergessen, und – auch wenn sie selbst ihr Deutsch für ausreichend hält – ich habe kein Wort von dem verstanden, was sie gesagt hat.«
    Victor lachte zu laut. Moira erschrak und verschluckte sich. Lilly nahm sie von ihrer Brust und legte sie über ihre Schulter.
    »Ups«, sagte Victor.
    »Schon in Ordnung. Ich glaube, sie hatte sowieso genug.«
    »Sie beabsichtigt, die Bibliothek meines Vaters aufzulösen.«
    »Das ist neu«, sagte Lilly. »Deine Mutter gibt etwas weg?«
    »Sie hat wieder eine ihrer Aufräumkrisen, und ich darf als Erster aussuchen. ›Wenn du schnell vorbeikommst‹, hat sie gesagt.«
    Lilly lächelte.
    »Ich wünschte, mein Vater hätte Moira noch erleben können«, sagte Victor nach einer Weile.
    »Wann sie wohl zum ersten Mal ›Mama‹ oder ›Papa‹ sagen wird«, sagte Lilly.
    »Ich werde ihr beibringen, zuerst ›Mama‹ zu sagen, okay?«, lachte Victor.
    »Ich habe dich mit deiner Mutter sprechen gehört«, sagte Lilly leise, »und mir ist aufgefallen, dass du sie mit ›Oma‹ anredest. Das hast du bei unseren kurzen Besuchen auch schon gemacht.«
    Victor kniff die Augenbrauen zusammen und dachte nach.
    »Hast du jemals ›Mutter‹ oder ›Mama‹ zu ihr gesagt? Oder hattet ihr ein anderes Wort für sie? Nennen deine Schwestern sie Mama?«, fragte Lilly.
    Nach ein paar Sekunden sage er: » TMQ .«
    »Was?«
    »Too many questions. Ich habe nicht auf alles eine Antwort, Lilly.«
    Er glitt aus dem Bett, schaltete das Licht aus und sagte: »Ich lasse euch jetzt schlafen. Ich komme noch kurz vorbei, bevor ich aufbreche.«
    »Nein, es wäre mir lieber, wenn du dich jetzt verabschiedest. Dann brauchst du mich morgen nicht zu wecken, falls ich noch mal mit Moira einschlafe.«
    »Dann bis in ein paar Tagen.« Victor küsste Lilly und Moira und zog die Zimmertür leise hinter sich zu.
    Victor zeigte dem Taxifahrer, wo er rechts in die lange Allee abbiegen sollte. Es war spät und fast dunkel. Auf halber Höhe der Auffahrt sah er seine Mutter an der Eingangstür stehen. Martha wohnte schon lange ganz allein in dem großen Landhaus, das nach hinten an einem ruhigen Fluss lag. »Lieber behaglich allein, als mit ein paar Trotteln in einem Altenheim eingepfercht«, pflegte sie zu antworten, wenn jemand sie fragte, ob sie sich nicht allein fühle.
    Victor nahm seinen Koffer aus dem Taxi. Er sah, dass Martha sich am Türknauf festhielt. »Was macht das?«, fragte er und gab dem Fahrer die geforderten sechzig Euro.
    »Tag, Oma.«
    »Du bist spät dran. Ich hatte dich früher erwartet.«
    »Tag, Junge, schön dich zu sehen, und wie war der Flug?«, korrigierte Victor spielerisch. »Der Flug hatte Verspätung und es war unheimlich viel Verkehr auf der Autobahn. Wie geht es dir?« Er gab seiner Mutter drei Küsse und folgte ihr ins Haus. Victor sah, wie schlecht sie sich auf den Beinen hielt.
    »Bei mir
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