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- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken

- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken

Titel: - Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken
Autoren: Tobias Radloff
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der seine Holzschuhe in den Webstuhl wirft, um den Fortschritt aufzuhalten. Aber ich will kein Maschinenstürmer sein. Also, tun Sie Ihr Werk.«
    »Sehr gerne. Am besten fange ich sofort an.«
    Während Meph seiner Klientin in ihr Arbeitszimmer folgte, frohlockte er innerlich. Cosima Hauser zahlte besser als all seine bisherigen Kunden. Noch besser war ihre Sechsstelligkeit. Allein die Mundpropaganda würde seinen Status im Netz spürbar verbessern. Mit etwas Glück gewann er sogar neue Kunden dazu. Am glücklichsten war er jedoch darüber, dass er endlich wieder unter fremder Kennung online gehen konnte. Das letzte Mal lag schon einige Wochen zurück.
    Cosimas Schreibtisch war aus dunklem Holz. Die Einlegearbeiten auf der Platte zeigten Orchideen und kleine Vögel mit langen Schnäbeln. Sie hatte recht, er war wirklich hübscher als die Standardoberfläche. Ihr Pad lag schon bereit, ein ultramodernes eGalaxy, eins aus der neuen Fünfband-Generation mit erweiterter Reichweite. Sie legte den Zeigefinger auf den Sensor, um sich einzuloggen. Sofort projizierte das Pad die mausgraue Benutzeroberfläche eines bundesdeutschen Standardpods in die Luft. Die anachronistischen Icons hatten die Form von Aktenordnern, Papierstapeln, Büroklammern und Stiften. Cosimas Hand verharrte sekundenlang über dem Pad. Dann schob sie es Meph mit einer Bewegung hin, die sowohl entschlossen als auch resigniert hätte sein können.
    Er hatte schon Dutzende von Pods gestaltet, und Cosimas war aufgeräumter als die meisten. Seine Finger huschten schneller über die berührungsempfindliche Tastatur, als ihnen das Auge folgen konnte. Dialogfenster und getippte Kommandos blitzten über das Projektionsgebiet wie in einem hektisch geschnittenen Musikvideo. Dennoch sah sie ihm beinahe eine Stunde über die Schulter, ehe sie sich unter einem Vorwand zurückzog.
    Meph arbeitete volle fünfzehn Minuten lang allein weiter, ehe er die Finger vom Pad nahm und lauschte. Bis auf seinen eigenen Puls hörte er nichts. Er stand auf, ging zur Tür und horchte erneut. Das gedämpfte Plätschern eines TV-Projektors drang zu ihm hinein. Behutsam schloss er die Tür und verdunkelte das Fenster. Das Pad war eine Insel aus Licht in der Schwärze. Mephs Finger schlossen sich um das Röhrchen in seiner Tasche. Es roch nach schmutzigen Socken. Er schüttelte sich eine Rize in die Handfläche und betrachtete sie wie einen Kieselstein in einem Zen-Garten. Dann legte er den Kopf in den Nacken und schluckte sie trocken.
    Er musste nicht lange warten, bis sein Gehirn in den konzentrierten Modus schaltete. Die Welt schrumpfte auf die Größe des eGalaxy zusammen, bis sie weit wie das Netz war, samtenem Schwarz und kleinen leuchtenden Punkten glich, die sich zu immer neuen Mustern anordneten. Cosima, das Zimmer, alles hörte auf, wichtig zu sein. Mephs Gedanken schossen dahin wie kleine Raumschiffe auf Autopilot. Er raste auf einer Expressroute durch das Universum, vorbei an Icons und Code, an Sternen und Planeten, die jedem seiner Befehle gehorchten. Es gab nichts mehr außer der Datenwolke und Cosimas Identität, mit der er darauf zugriff – eine ganze Galaxie unter seinen Fingerspitzen.
    Es war Zeit, nach Hause zu gehen.
    Meph hatte das Risiko mehrmals sorgfältig abgewogen; es war höher als sonst, aber immer noch gering, solange er den Zugriff auf ein paar Minuten beschränkte. Seine Finger bewegten sich beinahe ohne sein Zutun, als er die Adresse eingab. Die vertraute Tür, die er selbst entworfen hatte, erschien vor ihm, und einen Augenblick später war er da, wo er hingehörte.
    Mit ein paar Handbewegungen sauste Cosima durch das Weltall. Kleine Sonnen huschten wie aufgereihte Perlen durch die Luft. Sie tippte aufs Geratewohl einen Spiralarm an. Er zoomte heran und explodierte zu Dutzenden von Sternen. Als sie die Schriftzüge unter den einzelnen Objekten las, lachte sie auf. Sie berührte einen Gasriesen, und das Pad projizierte ihr jüngstes Videoessay in die Luft über dem Schreibtisch.
    »Es ist wunderschön.«
    Meph unterdrückte ein Gähnen. »Danke. Ich habe zwei zusätzliche Stunden damit zugebracht, die Texturen zu verfeinern, weil die Auflösung Ihres Projektors so hoch ist.« Das war nur zur Hälfte gelogen. Die zweite Stunde hatte er tatsächlich an den Sternoberflächen gefeilt, um der holografischen Detailtiefe des eGalaxy gerecht zu werden.
    »Auch du bist ein digitales Schaf, genau wie ich und alle anderen sogenannten Netzbürger«, kam Cosimas Stimme
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