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Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers
Autoren: Joseph von Westphalen
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Voll daneben
    Eine Verteidigung der Peripherie
    Der Auftrag kam mir nicht ungelegen. Mein Roman, den ich schon längst fertig geschrieben haben sollte, fing an, mir auf die Nerven zu gehen. Eine kleine Ablenkung konnte ich ebensogut brauchen wie das sicherlich großzügige Honorar. Eine Rede zur Einweihung eines neuen Firmengebäudes sollte es sein. Reden dieser Art halte ich mittlerweile nicht ungern, ich lerne fremde Welten kennen und weiß danach besser Bescheid. Es hat sich herumgesprochen, daß ich für gute Laune sorgen kann. Vor allem fragt man bei mir an, wenn Veranstaltungen steif zu werden drohen. Die Befürchtungen sind begründet: Ein Bürgermeister, ein Bauherr, ein Aufsichtsrat, ein Betriebsratsvorsitzender, eine Alibifrau, ein Ehrenpräsident, ein Staatssekretär, der den Minister vertritt - alle reden, das Gähnen reißt nicht ab, die Schnittchen werden lappig. Man braucht Auflockerung. Ein Tango-Trio ist zu flott, ein Streichquartett zu feierlich und wird nur engagiert, wenn ein Musikschulenanbau eingeweiht werden soll. Ein Kabarettist hat bei Grundsteinlegungen und dergleichen Feierlichkeiten nichts zu suchen. Das wäre zu viel. Ein Schriftsteller ist genau richtig. Er ist nicht vom Fach, er kann sich einen anderen Ton leisten. Er ist niemandem verpflichtet. Er muß keine Danklitaneien aufsagen. Er kann ein bißchen lästern und die Wahrheit sagen. Auch kann man mit ein paar Witzen rechnen.
    »Unser Unternehmen ist Ihnen sicher ein Begriff«, sagte der Mann am Telefon. »Jaja«, log ich. Ich hatte den Namen noch nie gehört. Es handelte sich offenbar um eine weltweit bekannte Marke, aber ich bin kein Markenmensch. Sie stellen Dinge her, die ich absolut nicht brauche. Die angeblich berühmtesten Krawatten der Welt. Teuer. Mit Krawatten allein geht es aber nicht mehr. Auch wenn die Japaner ganz wild darauf sind. Deswegen wurde die Produktpalette erweitert. Es gibt Notizbücher, vom selben Designer, die Hunderte kosten. Säcke für Golfschläger, die Tausende kosten. »Ach was!« rief ich dazwischen und freute mich auf mein Honorar.
    Der Direktor selbst hatte es sich nicht nehmen lassen, mich anzurufen. Ich fand es sympathisch, daß er sich Direktor nannte. Ein irgendwie altmodisches Wort. Am Schluß solcher Telefongespräche kommt immer die Frage, auf die ich jetzt wartete: »Ihre Honorarvorstellungen?« Das Wort »fünf« lag auf meiner Zunge parat. So ausgesprochen, daß eindeutig klar war, es würde sich um fünftausend handeln. Und zwar Euro. Es war in der Zeit nach der Währungsumstellung, als man das sicherheitshalber hinzufügte.
    Die Frage kam nicht. Er wird mich am Schluß zu seiner Sekretärin durchstellen, die das mit dem Mammon regelt, dachte ich. Statt dessen bat er mich um ein Treffen. Ich verwies auf meine knappe Zeit. Kann man doch alles am Telefon besprechen. »Sie sollten das neue Firmengebäude vorher schon einmal gesehen haben«, sagte er, halb flehend, halb mahnend. Er war wohl sehr stolz auf seinen Palast. Ich wies ihn höflich darauf hin, daß es E-Mails und Fotos und per E-Mail blitzschnell versendbare Fotos gäbe, daß mir das reichen würde, um einen Eindruck zu bekommen, im übrigen könne ich ja am Tag der Einweihung zehn Minuten vorher kommen. Schließlich sei es ein großer Vorteil der Architektur gegenüber der Literatur, daß man sich zu einem Bauwerk in wenigen Sekunden ein Urteil bilden könne und nicht stundenlang lesen müsse. »Das geht so nicht«, sagte er, »Sie müssen sich schon einmal vorher hierher bemühen. Es ist ein Erlebnis«, fügte er hinzu. Er nannte eine Adresse. »Wo ist denn das?« Ich glaube, ich schrie die Frage.
     
    Es war noch hinter dem Flughafen. Ich Idiot hatte kein Taxi genommen und irrte mit meinem Auto herum. Sechs, dachte ich, das kostet euch sechstausend. Neue Straßen, keine Namen - die Hölle. Ich verfuhr mich. Kein Mensch weit und breit, den man fragen könnte. Baumaschinen ohne Arbeiter. Als wäre die Pest ausgebrochen. Sieben, dachte ich, das kostet euch siebentausend. Ich hasse Baugelände und Bautätigkeiten. Aufgerissene Erde ist obszön. Ich sehnte mich nach meinem Schreibtisch, nach meinem auch unfertigen, aber vergleichsweise übersichtlichen Roman.
    Das Firmengebäude immerhin war fertig, die Gegend drum herum noch eine Art Todesstreifen. »In vier Wochen sind die Bagger weg«, sagte der Direktor. Jetzt erst spürte ich meine eigene verdrießliche Miene, mit der ich aus dem Fenster starrte. Seine Sekretärin brachte Tee.
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