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Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers
Autoren: Joseph von Westphalen
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Gründerzeitgebäude. Genügend Platz für die zweihundert Mitarbeiter und die paar Nähmaschinen, die man zum Fertigen von den Edelkrawatten braucht. Die Golfschlägersäcke werden woanders zusammengenäht. In China. Die Geschäfte liefen wie am Schnürchen. Mit der Erweiterung der Produktpalette habe man die Krise gut überstanden. Nur leider ist das Unternehmen in Familienhand. Es gibt nichtsnutzige Erben, die eine zweite Mittelmeerjacht haben wollen. So ist die Kapitaldecke immer dünner geworden. Nun hat man den Stammsitz der Firma verkaufen und hier draußen bauen müssen. Hier! Ein Trauerspiel! Die älteste Krawattenfabrik der Welt …
    »Am Arsch der Welt«, ergänzte ich - und zwar wirklich voller Mitleid. »Sie sagen es«, sagte der Direktor. Meine Aufgabe sei es, ebendies in meiner Rede vergessen zu machen. »Trösten Sie uns, trösten Sie mich, trösten Sie unsere Geschäftspartner, die hier herausfahren müssen, sagen Sie irgendwas Nettes, erheitern Sie uns, machen Sie uns vor, daß es hier nicht so schlimm ist, wozu sind Sie Dichter.«
    »Harter Job, Sie muten mir etwas zu«, sagte ich, auch um ihn zu erinnern, daß wir noch nicht über mein Honorar gesprochen hatten. Dafür hatte er mit seiner Klage über die dünne Kapitaldecke schon angedeutet, daß ich mich mit meinen Forderungen würde mäßigen müssen. Ich ahnte: Wer sich an die Peripherie hat drängen lassen, der wird Festredner nicht üppig entlohnen können. Als er von sich aus nicht darauf zu sprechen kam, fragte ich ihn: »Wie stellen Sie sich meine Honorarvorstellungen vor?« Die Frage war nicht unkomisch, fand ich, erstaunlich, zu welchen relativ geistreichen Formulierungen einen relativ geistlose Menschen anregen können. Aber der Direktor lachte nicht, sondern sagte, die anderen Redner machten das umsonst. Ich klärte ihn auf: Ein freier Schriftsteller sei kein Bürgermeister mit einem Gehalt. Er versuchte mir klarzumachen, daß dieser schauerliche Krawattenleichnam in diesem schauerlichen Krawattensarg ein kostbares Geschenk sei, ein Exemplar aus der limited edition . Ich war fassungslos, und er belehrte mich: »Das ist mehr wert als so manches Honorar.« Jetzt tat er mir nicht mehr leid, er hatte sein Schicksal verdient. An den Rand mit solchen Leuten! »Ich mache mir nichts aus Krawatten«, sagte ich. Der Hinweis kränkte ihn nicht. »Bei ebay sollen Krawatten unserer limited edition schon für über fünf weggegangen sein«, sagte er verschwörerisch und präzisierte: »Fünftausend. Euro.« - »Versteigern Sie Ihre Krawatten selbst«, sagte ich, wollte gehen und weder diesen Mann noch diesen Ort je wiedersehen. Da schaute die Chinesin ins Zimmer und fragte, ob wir etwas bräuchten.
    Tausend. Mehr waren nicht drin. Entweder dem Unternehmen ging es wirklich schlecht, oder der Direktor war ein guter Schauspieler. Wegen der Chinesin sagte ich dann doch zu. Sie allein war es wert, noch einmal die Fahrt hierher zu machen. Auch konnte es mir nicht schaden, ein bißchen über das Wesen der Peripherie nachzudenken. Rechtsanwälte verteidigen immer wieder abscheuliche Verbrecher und plädieren für milde Strafen, warum also nicht als Autor den Advokat des Teufels spielen und Argumente zusammensuchen, die für die abscheuliche Lage eines Arbeitsplatzes sprechen.
     
    Vier Wochen später war es soweit. Diesmal kam ich mit dem Taxi, und der Fahrer verfuhr sich. Ich hatte den Namen der Straße vergessen. Irgend etwas mit Sechs Eichen oder Drei Birken . Oder An der Buchenhecke . Buchenwald war es nicht, das Kainsmal hätte ich mir gemerkt. Oder Moorweg? Im kühlen Grund? Oder war es gar ein adornisches Im Wiesengrund? Nein, das wäre mir aufgefallen. »Ist doch egal«, sagte der Taxifahrer. Richtig, es war egal, die Straßenschilder waren noch immer nicht angebracht, und kein Mensch war unterwegs, den man fragen könnte. Die Fahrt kostete ein Vermögen. Vermutlich würde mir zur Begleichung der Taxirechnung eine weitere Krawatte angeboten werden. Für die Taxis war die Peripherie ein Segen.
    Theaterregisseur sollte man sein. Ich malte mir eine moderne Aufführung der » Göttlichen Komödie « aus: Dante in einem Taxi mit einem gutgelaunten Fahrer namens Vergil, der sich heillos verfahren hat, während der Fahrgast in edlen Versen spricht: »Dem Höhepunkt des Lebens war ich nah … da ich verirrt den Weg nicht wieder fand … viel bittrer kann der Tod nicht sein … ich weiß nicht recht, wie ich hierher geriet … bis daß ich abkam weit vom
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