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Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers
Autoren: Joseph von Westphalen
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Eine Chinesin. Hübsch. Sehr hübsch. Sehr, sehr hübsch. Ich war etwas versöhnt. Die Irrfahrt hierher war nicht ganz sinnlos gewesen.
    »Wie sind Sie auf mich verfallen?« fragte ich den Direktor. »Ich selbst lese leider nicht, keine Romane«, sagte er. »Keine Zeit, Sie verstehen.« Ich nickte. Das alte Lied. »Aber sie«, sagte er und deutete auf die sehr, sehr hübsche Chinesin - und zwar so, daß ich sicher war (und einen Augenblick später auch schon neidisch): Er hat etwas mit ihr. Das Lächeln der Chinesin wurde strahlend. Sie hatte ein Buch von mir gelesen und dabei ab und zu lachen müssen, und als man nach einem Schriftsteller suchte, der eine heitere Rede halten sollte, hatte sie mich vorgeschlagen. Ich schmolz. Ich bedankte mich stürmisch. Ich küßte ihre Hand. Sie kicherte. »Sie versteht kein Deutsch«, sagte der Direktor. Seltsame Sekretärin. Der Direktor erriet meine Frage. »Der ganze Schriftverkehr ist hier englisch«, sagte er. Sie hatte mich auf Englisch gelesen! Ich bedankte mich sofort auf Englisch bei ihr: »For years I’ve been waiting to meet someone who’se read one of my books in English«, log ich entzückt und verkniff mir den schmierigen Zusatz, daß ich nicht im Traum daran gedacht hätte, daß es sich bei diesem Fabelwesen auch noch um eine so schöne Frau handeln könne. »I’ve read your book in Chinese«, sagte sie.
    Alles mußte ein Irrtum sein. Nicht ich war gemeint. Es gab keine chinesische Übersetzung irgendeines Buches von mir. Sie ging in ihr Zimmer und holte ein Buch. Es kam mir bekannt vor. Vor Jahren hatte mein Verlag mir ein solches Exemplar als Beleg zugeschickt, zusammen mit einem Scheck von zweihundert Mark und dem ironischen Glückwunsch, daß man in Südkorea ein Kinderbuch von mir übersetzt habe. Stimmte also nicht. War gar nicht Korea. »No, no, it’s China, it’s mainland China«, sagte die Chinesin und lachte so hinreißend, daß ich meine Rede am liebsten auf Englisch gehalten hätte, um sie erneut zum Lachen zu bringen. Sie hatte kein Alter. Sie konnte ebensogut 30 wie 50 sein.
    Plötzlich stand der Direktor auf, ging zum Schreibtisch und überreichte mir einen unförmigen Karton. Der Deckel war durchsichtig. Eine Krawatte! Ähnlich abscheulich wie die, die er selbst trug. Selbst aus Seide lag sie auf einem Seidenbett, wie eine Luxusleiche in einem Luxussarg. »Um Sie ein bißchen an das Unternehmen zu binden«, sagte der Direktor. Dafür, daß er den Kalauer schon öfter losgelassen haben dürfte, kam er erstaunlich frisch.
    Dann kam er zur Sache. Auf die Geschichte der Firma brauche ich in meiner Rede nicht einzugehen, dies sei seine leidige Pflicht. Ich nickte und war ziemlich sicher, daß er mich gleich bitten würde, auf die Transparenz des Bauwerks einzugehen. Ich hatte allein im vergangenen Jahr zwei Reden zur Einweihung von Gebäuden halten müssen, und manchmal sind aller guten Dinge drei. Jedesmal war ich von den Bauherrn gebeten worden, über die Transparenz zu sprechen. Das waren ziemlich simple Reden gewesen, denn ich plauderte einfach nur aus, daß ich gebeten worden sei, die Transparenz zu loben, die jeder Architekt erzeugen und jeder Bauherr haben wolle - nur könne keiner mehr die Transparenzlobhudelei ertragen, daher habe man mich engagiert. So beschwerte ich mich zehn Minuten lang über das, was ich sagen sollte, sagte es damit auch, die Rede war fertig - und alle waren zufrieden, auch die Architekten, die sich endlich einmal ironisch gewürdigt fühlten. Dieses neue Luxusseidenkrawattengebäude hier war zwar alles andere als transparent, um so besser und ironischer würde meine Rede sein.
    Irrtum, es war nicht die mißratene Architektur, die ich mit lockeren Worten als gelungen darstellen sollte. Die Lage war das Fatale. Als der Umzug hierher drohte, habe es zum ersten Mal in der Geschichte der Firma eine Demonstration der Belegschaft gegeben, sagte der Direktor. 1968 sei alles ruhig geblieben, obwohl man doch damals gegen Krawatten einiges hätte vorbringen können. Nun aber seien die Mitarbeiter mit Spruchbändern skandierend durch die Straßen der Innenstadt gezogen: NIE, NIE, NIE - AN DIE PERIPHERIE.
    »Dabei ist das Wort Peripherie ja noch ein Euphemismus für das hier«, sagte der Direktor und starrte nun auch geradezu selbstmörderisch aus dem Fenster. Ich schwieg. Recht hatte er. Das Unternehmen war bis vor kurzem da gewesen, wo ein so traditionsreiches Unternehmen hingehört: im Herzen der Stadt. Wunderschönes
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