Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers
Autoren: Joseph von Westphalen
Vom Netzwerk:
anlehnen und die Arme verschränken und dem lächerlichen Treiben in der Mitte mit dem nötigen Abstand zusehen. Im Abseits zu stehen sei edel.
    Langsam fing ich an, meinem eigenen Gerede zu glauben. Sogar der Betriebsratsvorsitzende lächelte milde. Den Rest meiner zehn Minuten nutzte ich zu einem kleinen Lob des Umherirrens. Da Irren bekanntlich das Menschlichste überhaupt sei, könne man sagen, daß die Peripherie, in der man sich nicht zurechtfinde, die Menschlichkeit fördere. Den Verlust der Mitte zu beklagen sei konservativer Schwachsinn, es lebe die Randnotiz, sie lebe hoch. Die Randnotiz enthalte das Wesentliche. Die Marginalien - nur in ihnen sei Wahrheit, peripher sei mein Lieblingswort. Angesichts dieses neuen Firmenstandorts, dies werde mir immer klarer, forme sich in meinem Kopf wie von selbst der Grundstein zu einem neuen Buch mit dem bekennenden Titel »Ich bin ein Bewohner der Peripherie«. (Klatschen.)
    Ich bat das Publikum, sich die Worte »beiläufig« und »nebensächlich« auf der Zunge zergehen zu lassen und ihren Gehalt zu schmecken. Zum Teufel mit dem Mainstream, auf den Abwegen sei es spannender. »Was vermeid ich denn die Wege, wo die andren Wandrer gehn« sei das Lied der Peripherie. Schubert, »Winterreise«. Zum Teufel mit den Hauptstädten und den Hauptwerken der Kunst, das habe nur zu dem Wahnsinn von Warteschlangen und Voranmeldungen geführt! Die Museen am Rande mit ihren Nebenwerken seien ungleich wichtiger. Die Jugend habe längst begriffen, daß Leute, die ihre Mitte gefunden hätten, nervtötende Langweiler und miese Karrieristen seien, die interessanten Typen seien die, die abseitiges Zeugs machten. Keine höhere Auszeichnung, als »voll daneben« zu sein. (Trotz meiner Feurigkeit leichte Skepsis im Publikum.) Analog zur klassischen Nebenfrau des Erfolgsgatten sei der Nebenmann für die emanzipierte Frau zu fordern, denn auch in der Liebe müsse das Periphere zu seinem Recht kommen. (Schmunzeln der Älteren, ausdruckslos die Gesichter der Askesemanager.)
    In Anlehnung an die ehrenwerten Protestsprechchöre, mit denen die aufgebrachte Belegschaft einst gelobt hatte, nie, nie, nie an die Peripherie umzuziehen, erlaubte ich mir arbeitnehmerunfreundlicherweise die Umkehrung des Schlachtrufs: Sag niemals nie - zur Peripherie . (Leider Klatschen des Inhabersprosses.)
    Die Redezeit ging zu Ende. Ich konnte gerade noch die in der Peripherie des Globus kreisenden Satelliten erwähnen, ohne die das Fernsehen und Telefonieren empfindlich eingeschränkt sei. Oder wäre das ganz erholsam? Und wenn man als Reisender kein Zimmer mehr in einem gemütlichen Hotel im Zentrum bekommt und in ein atemberaubend häßliches »Romantic-Hotel« in einem aus dem Boden gestampften Industriegebiet am Stadtrand ausweichen muß: trösten einen dann der bequeme Parkplatz und die Whirlpoolwanne über den endlosen Weg zu den Sehenswürdigkeiten der Altstadt? Der »Romantic-Hotel«-Mensch an der Rezeption schwört, ohne zu erröten, daß man auf den sechsspurigen Entlastungstangenten und Zubringerspangen nur eine Viertelstunde zum Parkhaus der Innenstadt braucht, wenn man sich nicht verfährt.
    Der Direktor tippte auf seine geschmacklose und sicherlich sehr teure Armbanduhr - auch dies eine limited edition, nehme ich an. Eine Minute hatte ich noch, in der ich mit überdrehter Ironie von den neuen Gemeinschaftsgefühlen und zwischenmenschlichen Hilfeleistungen schwärmte und den Zuhörern ausmalte, wie paradiesisch, zumindest kommunikationsfördernd es sei, in der Peripherie fremde Menschen, die sich irgendwann auch hier angesiedelt haben würden, nach dem Weg in die Stadt oder nach der Bushaltestelle zu fragen, und die dann, erlöst von der Einsamkeit in ihren Autos, freundlich sagen würden: Vergessen Sie den Bus, steigen Sie ein, fahren Sie mit!
    Mit diesen Worten machte ich Schluß. Nach mir würdigte ein Architekturprofessor den Bau. Wie zu erwarten, pries er dessen Transparenz und sprach von der Chance, die der weite Raum der Peripherie den Architekten gäbe, von der Kreativität, die sich hier entfalten könne, von den Zwängen, denen die Architekten in den Innenstädten unterworfen seien. Dann Sekt und Schnittchen - nicht einmal lappig. Der Direktor winkte mich in sein Gemach. Die Chinesin war doch da, sie hatte das Telefon bewacht und überreichte mir meinen Scheck - und noch mal eine Krawatte in der grotesken Sargschachtel - limited edition . Ich protestierte. Doch sie drückte mir die Gabe fest in die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher