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0192 - Die Todessekte

0192 - Die Todessekte

Titel: 0192 - Die Todessekte
Autoren: Gerhart Hartsch
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Shio hielt sich für aufgeklärt und glaubte nicht an Dämonen, deshalb hatte er die ganze Zeit keinen Verdacht geschöpft, als es ihm nicht gelang, den winzigen Vorsprung der Schönen aufzuholen, die sich in merkwürdig müheloser schwebender Art vor ihm herbewegt hatte.
    Trotzdem konnte er sich eines ängstlichen Gefühls nicht erwehren, das sein Herz klopfen ließ, als wolle es den Brustkorb sprengen. Die letzten fünf Schritte fielen ihm schwer. Aber er bewegte sich weiter wie in Trance, willenlos und nicht fähig, nachzudenken. Sonst hätte er schreiend die Flucht ergriffen.
    Denn jenseits des kostbaren Fächers ging eine rätselhafte Veränderung vor sich. Wie bei einer Blume, die per Zeitraffer dargestellt wird und den Zyklus ihres Lebens in Sekundenschnelle durchläuft. Die zarte Pfirsichhaut wurde runzelig wie Pergament und ziemlich dunkel. Die Haare verloren Glanz und Frische und wurden zu grauen Strähnen, die unordentlich um einen Greisinnenkopf flatterten. Der Mund mit welken Lippen wirkte jetzt spitz und gierig. Die sorgfältig manükierten Fingernägel wurden zu den Krallen einer Chimäre, die ihr Opfer erwartete, wortlos, ihrer Sache sicher.
    Aus einem faltigen Hals drang ein halb unterdrücktes Knurren.
    Für einen Augenblick aber sah Shio seinen Bruder, den Mönch, vor sich, ein schweigsamer Bursche mit kahlrasiertem Kopf, in eine safrangelbe Toga gehüllt, wie er im Lotussitz in einem Tempel der Nichirensekte hockte und den Gebetsspruch: »Heil dem wunderbaren Gesetz des Lotus-Sutra« murmelte, ein einsamer Kämpfer gegen die Finsternis und den Einfluß der Schwarzen Magie.
    Einen Augenblick später war der Bann gebrochen.
    Shio erschrak und wandte sich zur Flucht.
    Hoch stand der Mond über den Bäumen des alten Parks, die den Weg säumten und fast verdunkelten. Ständig wechselten Licht und Schatten, in einem zermürbenden Rhythmus, der die Nerven des Fliehenden angriff.
    Was ihm Schnelligkeit verlieh, war das heisere Aufstöhnen der geprellten Furie hinter sich. Aber ihre Schritte hörte er nicht. Er spürte nur ein eisiges Wehen in seinem Nacken, während er halb wansinnig vor Angst davonrannte, den fernen Lichtern der Shonobazu-Dori Avenue entgegen.
    Shio war sportgestählt. Er hatte genügend Kondition für einen Marathonlauf, aber dieses Wettrennen konnte er nicht gewinnen.
    Plötzlich tauchte der Yashi-Dämon vor ihm auf, in ein häßlich phosphorizierendes grünes Licht gehüllt.
    Shio, angstgepeitscht, machte auf dem Absatz kehrt, rannte tiefer in den dunklen Park hinein. Hätte er seinen Verstand gebrauchen können, das triumphierende Kichern in seinem Rücken hätte ihn gewarnt.
    So brach er durch Büsche, die sein Gesicht peitschten, jagte über eine taunasse Wiese und stoppte vor einem See, der sich - von einem leise rauschenden Wasserfall gespeist - am Fuß einer Felswand gebildet hatte. Seerosen trieben darauf.
    Shio warf sich ins Wasser und schwamm um sein Leben. Er geriet in Wasserpflanzen, die er vorher nicht bemerkt hatte. Sie legten sich feucht und glitschig um seine Glieder und drohten ihn zu ersticken. Er kämpfte sich mühsam frei, nur, um festzustellen, daß ihm ein Gewicht im Genick saß, das ihn langsam unter Wasser drückte.
    Noch einmal bekam Shio festen Boden unter die Füße, als er eine Felsgruppe inmitten des künstlichen Sees erreichte. Er stand auf und schlug brüllend um sich.
    Aber seine Hände, deren Handkanten vom Karatetraining wie mit Leder überzogen wirkten, trafen nicht auf Widerstand.
    Arme wie Tentakeln schlangen sich um seinen Körper, umwanden ihn mit einer Kraft, die er sich nicht erklären konnte und schnürten ihm die Luft ab. Dann spürte er den leichten Stich in der Halsgegend.
    Shio atmete tief. Er wehrte sich nicht mehr. Apathisch duldete er die tödliche Umarmung des blutsaugenden Yashi-Dämonen.
    Bald fühlte er sich schlapp und müde. Er taumelte und fiel. Fast empfand er das Ende als angenehm. Ihm schwanden die Sinne. Noch einmal sah er seinen Bruder vor sich und glaubte, die Kraft kehre in seine Adern zurück. Er wollte sich der Worte des Mönches erinnern, aber sie waren ausgelöscht. Er hatte nicht mehr die Kraft, sich zu konzentrieren.
    Er riß mit Anstrengung die Augen auf und sah den Nacken des Dämons. Dort saß das Kainsmal, ein fünfzackiger, winziger Stern, der aussah wie tätowiert, und Shio wollte sich daran erinnern, was in den heiligen Büchern der Nichirensekte darüber stand. Sein Bruder hatte es ihm vorgelesen. Aber es fiel
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