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Schwarzes Fieber

Schwarzes Fieber

Titel: Schwarzes Fieber
Autoren: Wolfgang Burger
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hin und her, den sie seit Neuestem am Zeigefinger der linken Hand trug.
    »Also, eigentlich finde ich, wir brauchen kein neues Auto«, meinte Louise irgendwann. Sarah nickte dazu, als wäre ihr der Gedanke auch schon gekommen.

30
    Rosana?
    Es dauerte eine Weile, bis ich mich überwinden konnte, sie anzurufen. Es fiel mir verteufelt schwer, ihr zu sagen, dass nun auch ihr zweiter Bruder tot war. Der Letzte, der ihr von ihrer Familie geblieben war.
    Dreimal hielt ich das Telefon schon in der Hand. Dreimal legte ich es wieder weg. Am Sonntagvormittag las ich endlich Schloss Gripsholm zu Ende. Die Szene, in der sich zwei Frauen einen Mann teilen. Oder ein Mann sich zwei Frauen gönnt. Das Kind wurde gerettet und seiner Mutter wieder zugeführt. Dann waren sowohl Tucholskys Urlaub als auch das Buch zu Ende.
    Am Nachmittag brachte ich es endlich über mich, die Nummer zu wählen, die mit vier Neunen endete.
    Es tutete lange. Schließlich wurde abgenommen, und eine Stimme, die einem Kind oder einer jungen Frau gehören mochte, kreischte mir etwas vollkommen Unverständliches ins Ohr.
    »Rosana Ribeiro«, sagte ich tapfer. »Rosana Ribeiro, bitte.«
    Auch die Antwort, wenn es denn eine Antwort war, verstand ich nicht.
    Ich bemühte mich, lauter zu sprechen.
    »Rosana Ribeiro. Please.«
    Inzwischen kam ich ein wenig durcheinander mit den Sprachen. Der Mensch am anderen Ende schien eine Frage in eine Menge zu rufen. Ich hörte Geschrei, Gelächter, jemand schien einen Witz gemacht zu haben. Ein Kind weinte.
    Dann war eine andere Stimme am Telefon. Diese gehörte eindeutig einem Mann.
    »Está?«, rief er. »Está?«
    Das war vermutlich Portugiesisch. Er merkte, dass ich nichts verstand, und reichte den Hörer an den Nächsten weiter. Ich begann zu fürchten, heute nach und nach alle zweitausend Sprachen Afrikas zu hören.
    Auch den Nächsten verstand ich nicht. Ich wiederholte meine Bitte und erhielt etwas wie: »Get nedda!« zur Antwort.
    Der Mann schien nicht einmal Rosanas Namen zu verstehen. Ein allerletzter Versuch noch, dann würde ich auflegen. Ganz langsam und sehr deutlich:
    »Ro-sa-na Ri-bei-ro.«
    »Isneddo!«, sagte der Mann. »Sie is mit ihr’m Buam in der Schul, glaub i.«
    In diesem Moment begriff ich, dass der Mann Deutsch mit mir sprach. Genauer, Bayerisch. Und dass Rosana mit irgendwem in irgendeiner Schule zu tun hatte.
    »Würden Sie ihr sagen, sie soll mich zurückrufen?«
    »Mei, logisch.«
    Ich diktierte ihm meine Nummer.
    »Und sie ist in einer Schule, sagen Sie?«
    »Genau. Mit ihr’m Manuel. Woaß ned, wann’s z’ruckkemman.«
    Zum Glück stand ein Stuhl neben mir.
    »Manuel?«, flüsterte ich. »Sagten Sie Manuel?«
    »Des is ihr Bua. Manuel.«
    »Aber ich dachte … Ich dachte, ihr Kind sei kurz nach der Geburt gestorben?«
    »Scho. Aber sie hat doch Zwillinge kriagt, ham S’ des ned g’wusst?«
    Zwillinge. Rosana hatte Zwillinge geboren. Und einen davon, den, der überlebt hatte, hatte sie nach ihrem Bruder benannt.
    Sie rief nie zurück. Nicht an diesem Tag und nicht am nächsten und nicht am übernächsten.
    Ich nahm mir vor, ihr einen Brief zu schreiben.
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