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Schwarzes Fieber

Schwarzes Fieber

Titel: Schwarzes Fieber
Autoren: Wolfgang Burger
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duftete es nach gegrilltem Fisch, Thymian und Knoblauch. Je näher ich dem Zentrum kam, desto voller wurde es. Überall nur Autos, Urlaubergruppen standen sich gegenseitig im Weg, fotografierten um die Wette, führten sich auf, als hätten sie ganz persönlich eben erst diesen hübschen Ort entdeckt. Nur durch Zufall entdeckte ich schließlich kurz vor dem anderen Ende des Hafenbeckens den kleinen, verrosteten Wegweiser in eine dunkle Gasse. Albergo Julia. Con vista mare.
    Vermutlich gab es jetzt, Ende August, im ganzen Ort noch genau ein freies Zimmer an diesem milden Abend, und ausgerechnet ich hatte das Glück, es zu finden. Julia stammte aus Tübingen und hatte über die Jahre im Süden kein bisschen von ihrem schwäbischen Dialekt verlernt. Giulio, ihr Mann, hatte ein halbes Leben lang beim Daimler in Böblingen g’schafft und dort genug Geld zusammengespart, dass man sich schließlich den Traum erfüllen konnte: das kleine Hotel, beinahe am Meer, im Ort seiner Vorfahren. Das Zimmer war schlicht, aber mit schwäbischer Gründlichkeit sauber gehalten. Und vom kleinen Balkon, der zur Gasse ging, konnte ich tatsächlich einen Zipfel Meer sehen, wenn ich mich ein wenig über das bedenklich wackelnde Geländer reckte.
    Als die beiden hörten, dass ich von Doktor Fahlenberg kam, avancierte ich umgehend zum Freund der Familie und wurde zum Abendessen eingeladen, was mir ganz recht war. Hier, bei diesen freundlichen, einfachen Menschen, fühlte ich mich wohl. Ein überfülltes Restaurant hätte ich im Augenblick nicht ertragen können.
    Giulio, einen Kopf kleiner als seine Frau und zwei kleiner als ich, kochte mit Inbrunst und enormer Geräuschentwicklung. Julia und ich leisteten ihm Gesellschaft und plauderten über die Fahlenbergs, Tübingen und die Unterschiede zwischen dem Leben in Deutschland und auf Sardinien. Julia schimpfe auf ihre Heimat, das Wetter, die ewige Bürokratie, wobei ihr Giulio heftig widersprach und seinerseits Italien schlechtmachte, wo nichts, aber auch gar nichts funktionierte. Zum Beispiel seit acht Stunden das Telefon im ganzen Nordwesten Sardiniens. Anscheinend hatte ein Waldbrand einen Antennenmast beschädigt, vielleicht auch die Feuerwehr beim Löschen, so genau verstand ich es nicht und wollte ich es auch gar nicht wissen.
    Das harmlose Gespräch war Balsam für meine Nerven. Die Kinder – irgendwann kommt ja jedes Gespräch auf die Kinder – waren längst aus dem Haus. Eine Tochter, Anna, studierte in Rom, Irene jobbte in einem Hotel auf Ibiza, eine dritte war in Untertürkheim relativ glücklich verheiratet, wo sie anlässlich des Besuchs bei einem Cousin, der selbstredend ebenfalls »beim Daimler schaffte«, ihren Mann kennengelernt hatte. Der hatte sie gerettet, als sie in einer eiskalten Novembernacht ziemlich betrunken in den Neckar fiel.
    So ging das den ganzen Abend, das Essen war bodenständig gut, der Wein von ehrlicher Einfachheit. Nicht weiter erwähnenswert, dass er von einem Verwandten Giulios stammte, wie auch die Doraden erst heute Morgen das Pech gehabt hatten, in einem der Boote der weitläufigen Familie Vinciguerra zu landen.
    Irgendwann kam die Sprache wieder auf die Fahlenbergs. Der Dottore war im ganzen Ort bekannt und beliebt und hatte über die Jahre große Summen für alle denkbaren sozialen und kulturellen Zwecke gestiftet, vom kleinen örtlichen Krankenhaus bis zum noch viel kleineren Museum am Marktplatz, wo man Modelle von Fischerbooten und alte Seekarten bestaunen konnte, sowie eine Riesenschildkröte, die vor über hundert Jahren in der Nähe ans Land gespült worden war. Fahlenbergs verstorbene Frau, Dottoressa Helma, wurde geradezu als Heilige verehrt.
    Für jeden hatte sie ein Ohr und ein offenes Portemonnaie gehabt. Niemand läutete dort oben vergeblich am Tor, als sie noch lebte. Anlässlich ihres ersten Todestags, der in Kürze begangen werden musste, würden viele Messen gelesen werden.
    So wurde es halb zwölf, bis ich schließlich gut beschwipst, satt und mit der Welt wieder halbwegs im Reinen, auf mein Zimmer ging. Und nur, weil ich hören wollte, wie es Louise ging, schaltete ich mein Handy noch einmal ein. Es wollte gar nicht mehr aufhören zu brummen und zu bimmeln, und am Ende waren nicht weniger als sieben zunehmend verzweifelte Anrufe von Sönnchen auf meiner Voicebox. Ich sollte sie um Himmels willen zurückrufen, und wäre es mitten in der Nacht.
    »Gott sei Dank«, waren ihre ersten Worte.
    Folgendes war geschehen: Gegen halb vier Uhr
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