Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzes Fieber

Schwarzes Fieber

Titel: Schwarzes Fieber
Autoren: Wolfgang Burger
Vom Netzwerk:
»Tausende haben nur durch sie überlebt, denn ein gewisser Teil der Ware war ja sauber. Wie wenige das waren, wussten wir damals leider noch nicht. Aber dies nur nebenbei. Wir konnten es nicht wissen. Aber auch von denen, die das Pech hatten, eine verseuchte Blutkonserve zu erwischen, hat sich nicht jeder infiziert.«
    Nun war ich derjenige, der schwieg.
    Was mich am meisten frustrierte, war, dass ich plötzlich keine Argumente mehr fand, um ihm Kontra zu geben. Noch vor fünf Minuten war ich überzeugt gewesen, einen eiskalten Geschäftemacher vor mir zu haben, einen Menschen, der verbindlich lächelnd über Leichen ging.
    Und nun saß ich hier und fühlte mich wie ein Schuljunge, der einsehen muss, dass er alle Aufgaben falsch gerechnet hat.
    »Sie sind nicht überzeugt?«, fragte Fahlenberg.
    »Wie könnte ich?«
    »Dann erlauben Sie mir eine andere Frage. Eine sehr persönliche Frage. Angenommen, Sie selbst wären es, der dringend auf Spenderblut angewiesen ist. Sie befinden sich in Angola und wissen: In wenigen Stunden werden Sie sterben. Nun wird Ihnen eine Blutkonserve angeboten. Sie kennen die Gefahr. Aber Sie wissen auch, dass Sie selbst im schlimmsten Fall noch Jahre zu leben hätten. Am Ende nicht mehr sehr komfortabel, zugegeben. Aber Sie würden leben. Noch tausend Tage leben, zweitausend oder mehr. Tage, die auf einmal sehr, sehr kostbar sind in ihren Augen. Wenn Sie Glück haben, wird die Krankheit vielleicht niemals bei Ihnen ausbrechen, denn nicht jeder, der das Virus in sich trägt, erkrankt an Aids. Manche werden damit alt und erfahren vielleicht nie, dass sie infiziert sind.«
    Plötzlich war mir schwindlig. Konnte es wirklich erlaubt sein, Menschen zu töten, um andere zu retten?
    Natürlich nicht.
    Andererseits … Staaten handelten so. Pausenlos. Große Firmen ebenso. Menschenleben wurden gegen andere Menschenleben aufgewogen. Gegen Geld oder Bodenschätze. Sogar gegen Komfort oder Lebensqualität.
    Entführte Flugzeuge voller Unschuldiger sollten seit Neuestem unter gewissen Umständen abgeschossen werden dürfen, um ein größeres Unglück zu verhüten.
    »Jahr für Jahr müssten in unserem Land Hunderte von Menschen nicht sterben, wenn es auf den Autobahnen ein allgemeines Tempolimit gäbe.« Fahlenberg schien meine Gedanken erraten zu haben. »Das wäre jedoch nicht günstig für die Umsätze der Automobilindustrie, deshalb nimmt man lieber die Toten in Kauf. Tausende gehen zugrunde, weil man Alkohol und Nikotin nicht verbietet. Ich könnte Ihnen noch viele Beispiele nennen, denn ich hatte reichlich Zeit, über diese Dinge nachzudenken. Ich habe immerhin niemanden getötet, der nicht ohnehin gestorben wäre.«
    Aber durften auch Einzelne so denken und handeln? Er hätte damals ja wenigstens die Erlaubnis irgendeiner Behörde … Unsinn. Natürlich hätte er diese niemals erhalten. Und nachdem die zuständigen Beamten, falls es solche überhaupt gab, entschieden hätten, wären die Blutkonserven längst nicht mehr zu gebrauchen gewesen.
    »Es war übrigens die Idee meiner Frau.« Fahlenberg betrachtete seine Fußspitzen, die in eleganten italienischen Slippern steckten. »Sie hat immer so mit den Menschen gelitten. Es war ihr Vorschlag. Aber selbstverständlich war ich es, der die Verträge unterschrieb. Ich trage die Verantwortung.«
    »Wie viele Leben haben Sie gerettet durch diese Aktion, was schätzen Sie?«
    »Ich weiß es nicht. Einige hundert? Vielleicht zwei-, vielleicht dreitausend?«
    »Und wie viele wurden infiziert?«
    Jetzt sah er mir ins Gesicht. »Das weiß ich leider noch viel weniger.« Seine Stimme wurde wieder fester. »Ich weiß, aus heutiger Sicht klingt das alles nach billigen Ausflüchten. Aber halten Sie mir bitte zugute, dass wir vor zwanzig Jahren noch sehr, sehr wenig wussten über dieses schreckliche Virus und seine Verbreitungswege. Was wir aber wussten: In Angola tobte dieser widerwärtige, erbarmungslose, sinnlose Krieg. Tag für Tag starben Menschen, Stunde um Stunde, und es fehlte an allem. Was wir weiter wussten: Mit diesen fast einhunderttausend Blutkonserven konnten wir viele Leben retten.«
    Er begann, mit den Händen auf dem Rücken auf und ab zu gehen.
    »All das würde wesentlich glaubhafter klingen, wenn Sie nicht eine Menge Geld verdient hätten bei diesem Geschäft«, warf ich ein.
    »Geld?« Als wäre ein Schuss gefallen, fuhr er herum. »Sind Sie verrückt?«
    »Sie wollen doch nicht behaupten …?«
    »Der Transport nach Angola inklusive der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher