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Nächte des Schreckens

Nächte des Schreckens

Titel: Nächte des Schreckens
Autoren: Pierre Bellemare
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D IE A UGEN
     
    Es gehört nicht zu den Gewohnheiten des Arztes Hermann Geiler, früh schlafen zu gehen. Nach dem Abendessen pflegt er sich in sein Arbeitszimmer zurückzuziehen, um sich mit Fachliteratur zu beschäftigen. Und normalerweise kann er sich seinen Studien in aller Ruhe widmen, da das kleine Dorf Bergen im bayerischen Alpengebiet, wo er sein Häuschen hat, ein besonders abgeschiedener Ort ist. Dennoch wird er an diesem 10. März 1957 ungefähr gegen Mitternacht jäh aus seiner Literatur gerissen, als er von der Straße her lautes Rufen vernimmt.
    »Doktor, kommen Sie schnell!«
    Hermann Geiler öffnet das Fenster. Er erblickt ein Auto, das mit laufendem Motor und aufgeblendeten Scheinwerfern vor seinem Haus steht. Ein Mann steigt aus und zieht eine Person aus dem Wagen, die in sehr schlechter Verfassung zu sein scheint.
    »Der Mann ist verletzt. Er hatte zwei Kilometer weiter unten einen Unfall. Bitte kümmern Sie sich um ihn!«
    Der Arzt ruft aus dem Fenster: »Aber wer sind Sie denn?« Der andere gibt keine Antwort. Er steigt wieder in seinen Wagen und fährt davon. Hermann Geiler verläßt sein Arbeitszimmer, um dem Verletzten, der auf der Straße einfach zurückgelassen worden ist, zu Hilfe zu eilen.
    Dieser nähert sich schwankend, klammert sich dann an einen Baum und sinkt zu Boden. Der Arzt trägt ihn ins Haus und legt ihn im Wohnzimmer auf das Sofa. Erst jetzt sieht er, in welch besorgniserregendem Zustand der Mann ist. Sein Körper ist mit Wunden übersät, seine Kleidung ist verkohlt, und er hat schwere Verbrennungen an den Armen, an der Brust und im Gesicht. Am schlimmsten sind jedoch seine Augen betroffen. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist der Mann blind.
    Martha, Doktor Geilers Frau, bringt ihm seine Tasche und Verbandszeug.
    »Schnell«, ruft er ihr zu, »verständige die Polizei!«
    Dann beugt er sich über den Verwundeten und beginnt, Erste Hilfe zu leisten. Eine Viertelstunde später sind die Polizeibeamten bei ihm. Wachtmeister Friedrich, dem das Polizeirevier von Bergen untersteht, berichtet ihm, was sich zugetragen hat: »Wir haben in dem Unfallauto noch eine weitere Person gefunden. Sie ist tot.«
    Der Doktor verliert keine Zeit und fragt: »Wo ist die Leiche?«
    »In unserem Einsatzwagen.«
    Wortlos verläßt Hermann Geiler den Raum und läßt die Beamten mit dem Verletzten allein. Als er ein paar Minuten später zurückkehrt, erklärt er: »Sie können jetzt beide ins Krankenhaus bringen. Die Augen des Toten haben keinen Schaden erlitten. Die einzige Chance, um diesem Mann hier die Sehfähigkeit zurückzugeben, besteht in einer sofortigen Transplantation.«
    Die Polizisten tragen den Verletzten hinaus, der nach wie vor bewußtlos ist. Unterdessen nimmt Hermann Geiler Wachtmeister Friedrich beiseite: »Der Mann wurde von einem Autofahrer vor meiner Tür abgesetzt. Er wollte seinen Namen nicht nennen und ist sofort weggefahren.«
    Der Beamte notiert das. Ob jener den Unfall verschuldet hat?
    Die erste Untersuchung des Unfallorts scheint eher darauf hinzudeuten, daß das Fahrzeug von der Spur abgekommen ist. Und der geheimnisvolle Autofahrer ist wahrscheinlich einfach jemand, der mit der Polizei nichts zu tun haben will, aber man muß diesem Punkt natürlich trotzdem nachgehen.
    Da es im Moment jedoch vor allem darum geht, den Verwundeten zu retten, verschwinden die Beamten mit heulender Sirene in der Nacht.
    Eine Woche später sitzt Wachtmeister Friedrich am Bett des Mannes in der Klinik. Aus den Papieren, die dieser bei sich hatte, geht hervor, daß er Franz Ehrhard heißt und in München wohnt, woher auch sein verstorbener Begleiter stammte, ein Mann namens Martin Groschen.
    Im Augenblick erinnert Franz Ehrhard eher an eine Mumie, denn sein ganzer Körper ist bandagiert, und die Augenpartie wird von einer schwarzen Binde verdeckt.
    Der Wachtmeister beginnt das Gespräch mit ein paar Floskeln: »Nun, Sie haben ja wirklich eine Menge Glück gehabt, Herr Ehrhard, wenn man bedenkt, daß Ihr Wagen nur noch ein Schrotthaufen war!«
    Franz Ehrhard setzt sich auf: »Ja, ich bin verdammt froh, noch am Leben zu sein. Und was ist mit Martin? Wie geht es ihm?«
    Der Beamte räuspert sich: »Es tut mir sehr leid, aber Martin Groschen war auf der Stelle tot. Aus dem Grund muß ich auch einen genauen Bericht erstellen.«
    Franz Ehrhard zittert am ganzen Leib.
    »Der arme Martin... es ist meine Schuld! Das werde ich mir nie verzeihen!«
    Wachtmeister Friedrich legt ihm die Hand auf die Schulter:
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