Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzer Valentinstag

Schwarzer Valentinstag

Titel: Schwarzer Valentinstag
Autoren: Günther Bentele
Vom Netzwerk:
Mann, den Christoph gefragt hatte, grinste schief. Was er denn von dem alten Juden wolle?
    Christoph war bei dem Namen Löw zusammengezuckt.
    Als er sich auf den Weg zu dem Häuschen machte, ging eine ältere Frau ein Stück weit mit ihm und sagte leise zu ihm: »Es ist eine Schande, wie sie mit den Leuten umgehen. Der alte Löw hat niemals einer Fliege etwas zu Leide getan. Aber sie haben ihm alles weggenommen, alles! Sodass er nicht mehr richtig im Kopf ist. In seinem Haus, das er schon vor vielen Jahren hat bauen lassen und in dem seine Frau und seine Kinder nach und nach gestorben sind,wohnt jetzt ein anderer, der bei ihm hoch verschuldet war. Dabei stehen sehr viele Häuser leer jetzt nach der Pest. Ihm haben sie ein Häuschen an der Stadtmauer gegeben. Ich frage: Ist das recht?«
    »Nicht mehr richtig im Kopf?«
    »Sonst wäre er ja nicht ausgerechnet während der Pest wieder zurückgekehrt! Hier musst du weiter, dann links und erst die dritte Gasse rechts, du siehst es dann schon.«
    Eine baufällige Hütte lehnte sich an die Stadtmauer. Christoph klopfte mehrfach, bis er ein hüstelndes Geräusch hörte. Ein Riegel wurde umgelegt, ein zweiter zurückgeschoben. Kurzsichtige Äuglein über einem weißen Bart wurden sichtbar.
    »Was willst du, verschwinde!«
    »Seid Ihr der Jude Löw?«
    »Verschwinde!«
    »Ich habe eine wichtige Frage, bitte lasst mich hinein.«
    Eine Kette klirrte, der Türspalt ging ein wenig weiter auf: »Wer bist du? Was willst du?«
    »Ich komme aus Straßburg und möchte nach zwei Kindern fragen.«
    »Was für Kinder?«
    »Juden, ein Junge und ein Mädchen, Freunde von mir.«
    »Bist du ein Jude?« Der Blick war freundlicher geworden.
    Christoph schlüpfte hinein: »Nein, ich bin kein Jude, aber ich habe in Straßburg bei Juden gelebt, bei Löb Baruch, den müsst Ihr kennen, wenn Ihr Kaufmann wart. Und ich möchte – «
    Der Alte unterbrach ihn, indem er sich vorbeugte und ihm ganz nah in das Gesicht blickte: »Dann bist du Christoph Schimmelfeldt. Ich habe deinen Vater gut gekannt. Er ist tot, nicht wahr?«
    »Woher wisst Ihr?«
    »Man hat in den Judengemeinden von dem Christenjungen gesprochen, den die Familie Löb Baruchs aufgenommen hat. Ich habe auch von der Verfolgung deines Vaters gehört. Genaueres aber weiß ich nicht.«
    Er fuhr Christoph über das Haar: »Du hast den Mord an den Juden in Straßburg überlebt – lebt auch Löb noch? Und lebt seine Familie? Wohl nein, sonst wärst du nicht hier.« Er wiegte den Kopf und strich sich mit beiden Händen durch den Bart, der ihm weit über die Brust reichte.
    »Deshalb bin ich hier. Löb und der alte Abraham, von dem Ihr wohl auch wisst, haben mir das Leben gerettet. Ich weiß, dass sie umgebracht worden sind und die Frau Abrahams, aber ich weiß nichts von den Kindern Nachum und Esther. Es gibt Zeichen, dass sie gerettet wurden. Wisst Ihr etwas – sind sie auf der Flucht durch Pforzheim gekommen? Habt Ihr sonst von ihnen gehört?« Christoph hatte die Hände verkrallt.
    Der alte Löw wiegte bedauernd das Haupt: »Nichts weiß ich, nichts. Über Pforzheim konnten sie nicht kommen, weil hier die Juden ebenfalls umgebracht worden sind. Ich und wenige andere konnten rechtzeitig fliehen. Aber wo sollte ich bleiben? Mein Leben war hier in Pforzheim, hier sind die Gräber meiner Frau und meiner fünf Kinder.«
    Christoph starrte ihn entsetzt an.
    »Nein, sie sind nicht ermordet worden. Der Tod war gnädiger als die Menschen und hat sie viele Jahre vorher geholt.«
    Christoph fühlte die Hand des Alten auf seiner.
    »Ich habe damals gemeint, ich müsse sterben vor Schmerz. Aber es war ein Segen, wenn man weiß, was vergangenen Winter geschehen ist.«
    Er sprach sehr leise: »Hunderte von Judengemeinden sind im Winter ausgerottet worden im ganzen Reich wie in Pforzheim, Stuttgart und Straßburg. Wer nicht fliehen konnte, und das konnten nur wenige, wurde bei lebendigem Leib verbrannt, zu Tausenden. Viele von den Geflohenen wurden von den Bauern ausgeraubt und totgeschlagen. In Speyer haben sich die Juden in ihrer Verzweiflung in ihren eigenen Häusern selbst verbrannt, so wird gesagt.«
    Der alte Mann hatte beide Hände auf sein Käppchen gelegt und wiegte den Oberkörper vor und zurück.
    »Und Ihr?«
    »Wo sollte ich hin mit meinen dreiundachtzig Jahren? In den Ostens Nein, als die Pest kam, bin ich zurückgekehrt, sollten sie oder die Pest mich auch umbringen. Aber sie haben ein schlechtes Gewissen und haben mir dieses Häuschen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher