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Schwarzer Valentinstag

Schwarzer Valentinstag

Titel: Schwarzer Valentinstag
Autoren: Günther Bentele
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umgestürzt. Christoph versuchte einen der kleineren wieder aufzurichten, aber er war zu schwach.
    Dann sah er die große, neu aufgefüllte schwarze Fläche, auf der schon Wildblumen wuchsen. Tränen stiegen auf: Der Rat habe, so wurde gesagt, die Asche der verbrannten Juden aus Rotenkirchen überführen, hier einfüllen und mit Erde zudecken lassen. Schlechtes Gewissen? – Oder sollte es heißen, die Juden seien auf ihrem Friedhof verbrannt worden?
    Trostlos nahm er einen großen Stein und legte ihn darauf.
    Der Nebel lag über dem Strom, als Christoph auf der Fähre über den Rhein setzte. Wie Mehltau lag der Reif auf dem Strauchwerk, das sich aus dem Ufer löste, weiß verlor sich die Ebene um ihn, als er von der Fähre stieg. Weiß traten die Bäume aus dem Nebel, als er auf der Straße von Kehl aus abwärts wanderte. Gegen Mittag hellte der Nebel auf und zeigte rechts die dunkle Mauer des Schwarzwalds, dessen oberste Kante schon weiß war.
    Der mächtige weiße Rücken ist die Grinde, dachte Christoph und schaute im Gehen lange hinauf.
    Die Pest war, wie vorhergesagt worden war, mit den ersten Frösten zu Ende gegangen. Die letzten Toten waren begraben worden und Christoph musste nicht mehr damit rechnen, am Morgen irgendwo mit Pestbeulen aufzuwachen. Er war nicht allein auf der Straße. So viele Fuhrwerke, Bauern und Wanderer waren unterwegs, dass man meinen konnte, alles Versäumte sollte jetzt im Spätherbst noch nachgeholt werden.
    Freilich, auf sehr vielen Äckern stand das Getreide jetzt noch im Oktober auf dem Halm, schwarz und verschimmelt. Obstbäume brachen beinahe unter der Last des ungeerntet faulenden Obstes.
    Häuser sah er, an denen Fenster und Türen vernagelt waren. Oft sah er auch noch das weiße Pestkreuz an den Türen.
    Bei jeder Rast schaute er den kleinen Gewichtsstein mit der Handelsmarke seines Vaters an: das wohl vertraute glänzende Messingrund mit der großen Vier und dem springenden Pferd darüber.
    Die Pest hatte ihn verschont. Das musste ein gutes Zeichen sein!
    Er machte Pläne: Er war alt genug, das Geschäft seines Vaters wieder aufzubauen. Er hatte viel gelernt, solange er noch im Kontor des Vaters gearbeitet hatte, bei Löb hatte er noch einiges dazugelernt. Vielleicht nahm er auch einen zuverlässigen und erfahrenen Geschäftspartner auf. Wenn er vorsichtig genug war, konnte er den unvorstellbar wertvollen Diamanten beleihen, es genügte ein winziger Bruchteil seines wirklichen Wertes – freilich durfte er kein großes Risiko eingehen, denn der kostbare Stein, eingeschlagen in Esthers seidenes Tuch, gehörte nicht ihm.
    War das Geschäft wieder in Fluss – er kannte die Geschäftsverbindungen seines Vaters –, dann würde im Osten die Suche nach Esther und Nachum beginnen. Er wollte nicht daran denken, dass ihnen die Flucht nicht geglückt sein könnte. Wenn es keinen Herrn Dopfschütz und keinen Herrn Wangenbaum mehr gab, dann konnten Esther und er ohne Schwierigkeiten heiraten. Der Gedanke war süß im Gehen, so schritt er schneller aus.
    Er versuchte sich das Gesicht Esthers vorzustellen, aber es wollte nicht immer richtig gelingen, auch ihre Stimme, die er meist hören konnte, wann er wollte, stellte sich nicht immer sofort ein.
    Er musste nicht mehr heimliche Wege über den Schwarzwald gehen. Die meisten seiner Feinde waren tot. Von dem geflohenen Herrn Dopfschütz hatte er nichts mehr gehört. Und wenn es schlimm kam: Mit den Beweisen, die er in der Tasche trug, brauchte er jetzt weder die Gegner in Straßburg noch die in Stuttgart zu fürchten.
    Und – verfolgte Herr Dopfschütz seine Pläne noch weiter? Wenn nicht er, so werden es andere tun. Aber denen bin ich gleichgültig.
    Oft nahmen ihn Fuhrwerke mit, aber die Fuhrleute hatten wenig Freude an dem wortkargen Jungen, der bleich und mit einer steilen Falte in der Stirn auf ihrem Wagen saß und kaum ein Wort sprach.
     
     
    In Pforzheim fragte er nach den Juden – er wusste, dass es hier eine Gemeinde gegeben hatte. Es seien nicht viele Juden gewesen, aber sehr reiche, wurde ihm gesagt. Sie seien aber alle geflohen, als im Reich die Maßnahmen der Behörden gegen die Juden losgegangen seien.
    Maßnahmen der Behörden gegen die Juden!
    Ein paar, die nicht rechtzeitig fortgingen, seien umgekommen. Ein Jude, ein uralter, sei aber noch in der Zeit der Pest wieder zurückgekehrt, der alte Löw, er hause jetzt in einem winzigen Hüttchen an der Stadtmauer, nachdem er vorher in einem wahren Palast gewohnt hatte. Der
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