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Schwarzer Valentinstag

Schwarzer Valentinstag

Titel: Schwarzer Valentinstag
Autoren: Günther Bentele
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erwachte und nicht mehr einschlafen konnte.
    Die alte Esther hatte einmal ein Märchen erzählt, das er nicht verstanden hatte.
    »Ein Mann ging auf seinen Acker, um zu säen. Das Saatgut trug er in einem Sack auf der Schulter. Der Weg zum Acker war weit. Als er schon ein großes Stück gegangen war, stürzten sich Krähen auf seinen Sack. Ihr Krächzen war so laut und das Schlagen ihrer Fittiche so heftig, dass er betäubt zu Boden stürzte. Als er wieder zu sich kam, hatten die Krähen das ganze Saatgut aufgefressen. So ging er wieder nach Hause, um anderes zu holen. Als er aber zu seinem Acker kam, war da ein Wald gewachsen. Ein dichter Wald mit vielen Blumen und Schmetterlingen. So dicht war der Wald, dass kein Plätzchen blieb, auf das er hätte säen können. Was soll ich mit Schmetterlingen und Blumen!, sagte der Mann. Ich will nach Hause gehen, meine Axt holen und den Wald fällen. Als er aber wieder an seinen Acker kam, war der Wald verschwunden. Stattdessen war da eine Wüste, in der es nur Steine gab und Staub und Sand und keinen Tropfen Wasser. So konnte er auch jetzt nicht säen.«
    Die alte Esther hatte das Märchen erklären wollen. Aber etwas war dazwischengekommen, später hatte man nicht daran gedacht, und jetzt –
    Christoph glaubte jetzt das Märchen besser zu verstehen, aber er hätte es nicht sagen können.
    Es war die Angst vor der Pest, die ihn in Straßburg festhielt. Er müsste sich nach Stuttgart durchbetteln und er sah sich, wie er nach wenigen Tagen in irgendeinem Graben lag, mit Beulen unter den Armen, glühend vor Fieber.
    Nie wusste man ja, ob man die Pest nicht schon in sich trug.
    Also blieb er und wartete einsam auf das Ende der Seuche. Er hatte aber das Gefühl, als könne der Gewichtsstein seines Vaters, den er immer bei sich trug, die Pest verhindern.
    Mit den ersten Frösten erlösche die Seuche. Die Leute sagten es mit zunehmender Spannung, weil es jetzt, Anfang Oktober, nicht mehr lange war bis dahin. Niemand wollte zum Schluss, kurz vor der Rettung, doch noch von der Pest geholt werden. Ein erstes Zeichen für die aufkeimende Hoffnung war, dass sich die Gassen der Stadt langsam wieder zu beleben begannen.
    Aber die Krankheit dauerte an. Noch starben jeden Tag viele Menschen, es hieß sogar, die Zahl der Toten nehme wieder zu. Die Friedhöfe reichten längst nicht mehr aus, Gruben wurden ausgehoben und die Toten einfach hineingeworfen.
    Gleichzeitig hörte man immer mehr Gerüchte über Heilungen und unverhoffte Rettungen: Wie Kranke, die man aufgegeben hatte, morgens plötzlich sehr schwach, aber fieberfrei nach Essen und Trinken verlangt hätten und in der Folge wirklich gesund geworden seien. Niemand wisse, warum. Sie bräuchten aber manchmal Wochen, um wieder einigermaßen zu Kräften zu kommen.
    Das Betteln war immer leichter geworden. Nur sehr wenige Bettler gab es noch in Straßburg – kein Stand sei von der Pest so sehr heimgesucht worden wie die Bettler, hieß es. Der Stelzenklaus sei tot, wurde gesagt. Und die Angst vor der Krankheit machte die Menschen immer noch freigebig.
    Brot und Fleisch waren freilich sehr teuer geworden, weil viel mehr Bäcker, Metzger und Müller starben als zum Beispiel Schmiede oder Gerber, hörte Christoph einmal sagen. Niemand konnte es erklären.
    In den Kirchen lag das Abendmahl öffentlich aus. Jeder konnte es sich nehmen, weil keine Geistlichen mehr da waren, um es auszuteilen – sie waren entweder geflohen, die meisten aber bereits gestorben, weil sie einem Kranken die Beichte gehört oder mit ihm gebetet hatten. Der Bischof hatte alle Menschen in Straßburg auch ohne Beichte im Augenblick ihres Sterbens von ihren Sünden losgesprochen.
     
     
    Einmal noch war Christoph im Viertel der Juden gewesen. Mit leerem Blick war er durch die Gassen gegangen. Es hatte sich kaum etwas geändert seit dem Valentinstag. Einige der reicheren Steinhäuser hatten neue Türen bekommen, offenbar hatten neue Besitzer begonnen die Häuser wieder herzurichten, auch das Haus Löbs. Aber jetzt standen die Arbeiten still, die Häuser waren alle leer.
    Die Cheder, die Mikwe, der öde Brunnen mit den Eimern, die zu rosten begannen, die Synagoge – hier war es noch viel einsamer als auf den leeren Gassen und Plätzen der übrigen Stadt.
    Christoph ging langsam zurück in die Christenstadt und beschloss nun nicht mehr hierher zu gehen.
    Einmal ging er auf den Friedhof der Juden, auf dem er mit Esther gewesen war. Unkraut wucherte, Grabsteine waren
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