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Schwarzer Valentinstag

Schwarzer Valentinstag

Titel: Schwarzer Valentinstag
Autoren: Günther Bentele
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gegeben, mein großes Haus bewohnen andere. Es macht mir nichts aus.«
    Ein trockenes Hüsteln unterbrach ihn.
    »Es reicht zum Sterben. Sie halten mich für verrückt, weil ich zurückgekommen bin. Ich weiß. Sie fühlen nichts und sie denken nichts. Aber sie haben ein schlechtes Gewissen.«
    Er drückte Christoph die Hand und sagte singend: »Nichts weiß ich von Nachum und Esther, den Kindern Löb Baruchs. Nichts weiß ich. Armes Kind, du hast den Weg umsonst gemacht.«
    »Seid Ihr jetzt der einzige Jude in Pforzheim?«
    »Die Welt hat sich verändert und sie wird sich nun nach der Pest noch mehr verändern. Ob es wieder Juden in Pforzheim geben wird?«
    Seine Augen gingen über Christoph hinweg.
    »Sie haben im Jahre 1260, am Freitag nach Johannes dem Täufer, wie ihr Christen sagt, in Pforzheim ein kleines Mädchen gesucht, das nicht nach Hause gekommen ist. Das Mädchen hieß Margarete. Als es nicht mehr gefunden wurde, haben sie gesagt: Die Juden haben es umgebracht, sie haben ihm das Blut ausgesaugt, obwohl sie wissen, dass kein Jude Blut zu sich nehmen darf.«
    Christoph nickte. Die Geschichte war nicht neu.
    »Dann haben sie einige Juden verhaftet und gefoltert, bis sie gestanden haben. Diese Juden wurden umgebracht und die anderen ausgewiesen. Für das angeblich ermordete Kind hat man eine Kapelle gebaut. Du kannst die Margaretenkapelle heute noch sehen.«
    »Und dann sind wieder Juden nach Pforzheim gekommen?«
    »Ja, mein Großvater und mein Vater und andere. Die Christen haben die Juden geholt, weil sie die Juden brauchten. Siehst du, es werden wieder Juden kommen nach Pforzheim. Auch nach Straßburg werden wieder Juden kommen. Aber es wird alles anders sein«, er sprach weiter mit singender Stimme, »wir Juden sind jetzt arm und die Juden, die in den Osten gegangen sind, werden noch ärmer sein. Die Verbote des Papstes anno 1215: keine Juden als Bauern, Handwerker, Kaufleute, nur noch Kleinhändler oder Geldverleiher – die werden jetzt viel strenger durchgesetzt: Arm werden die Juden sein. Und wenn einer reich wird durch den Geldverleih gegen Zinsen, dem Einzigen, was ihm geblieben ist, so wird der Neid kommen und sagen: Wucherer, Geizhals, Leuteschinder! Alles wird sich ändern bei den Juden, und auch bei den Christen.«
    »Bei den Christen?«
    »Du musst nur rechnen«, er sagte es mit Bestimmtheit, »sehr viele Menschen sind an der Pest gestorben. Sie lassen viel Geld zurück, das die Überlebenden bekommen. Geld wird künftig eine ganz andere Rolle spielen als früher. Wer Geld hat, wird künftig die Macht haben, nicht mehr, wer das Land hat.«
    Christoph dachte an den alten Abraham: Alles wird anders. Wer Geld hat, kann sich die neuen Waffen kaufen –
    »Es wird sich noch viel mehr ändern bei allen: Die Pest hat es gezeigt. Vieles, was Jahrhunderte galt, hat versagt. Die Guten sind gestorben wie die Bösen. Frauen haben ihre kranken Männer, Männer ihre Frauen verlassen, Eltern ihre Kinder, Kinder ihre Eltern. Die ärztliche Kunst hat ebenso versagt wie die der Priester und Rabbiner. Alles wird anders werden. Ich aber werde tot sein.«
     
     
    Am Abend, als Löw ein Talglicht angezündet hatte, fasste Christoph Mut, er entfaltete Esthers seidenes Tuch und zeigte dem alten Juden den Diamanten.
    Der alte Mann schwieg und beugte sich lange darüber, er hielt ihn vor das Licht und brachte ihn nahe an sein Auge, das andere war geschlossen. Lange blieb er stumm. Dann flüsterte er, dass es kaum zu verstehen war: »Adamas, der Unbezwingbare. Ich kenne diesen Stein sehr gut. Unzählige Diamanten habe ich gesehen in meinem langen Leben. Der hier ist der Schönste. Ganz rein ist er, ohne Makel.«
    Wieder schwieg er und brachte dann sein Gesicht und den Stein ganz nah an das Gesicht von Christoph: »Ich bin dir dankbar, dass ich ihn noch einmal sehen durfte. Weißt du, es gibt nichts Vollkommenes auf der Erde, aber dieser Stein ist ein Bild der Vollkommenheit Gottes.«
    Sie schwiegen über den Stein gebeugt.
    Später erzählte Christoph. Er schloss: »Ganz verstehe ich es nicht, warum sie den Stein mir gegeben haben. Ich verstehe nur, dass er nicht mir gehört.«
    »Es lässt sich vieles denken. Das Einfachste ist, dass er nur bei dir sicher war. Sie haben großes, großes Vertrauen zu dir.« Der alte Mann legte seine Greisenhand auf die Christophs.
     
     
    Er durfte über Nacht bleiben und lag lange in der Dunkelheit und hörte den alten Mann beten.
    Es geschah mit einem Ruck: Esther! Er verstand
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