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Schwarzer Valentinstag

Schwarzer Valentinstag

Titel: Schwarzer Valentinstag
Autoren: Günther Bentele
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zusammen, dass von außen nichts zu sehen war, und streute Staub über den Verschluss, den er wieder einhakte.
    Seine Hände waren fiebrig und nass, als er versuchte Spinnweben über den Verschluss zu ziehen. Sein Herz jagte – die Zeit lief ihm davon. Wie komme ich zur Luke hinüber? – Er dachte voll Entsetzen an den nächtlichen Sprung über den Abgrund, bei dem ihm die Fackel hinuntergefallen war.
    Da hörte er von draußen einen Pfiff!
    Eine Stimme schrie: »Es ist jetzt hell genug. Er kommt uns nicht davon! Ist alles bereit? Stehen überall Wachen, auch vorne auf der Gasse und auf dem Hof?«
    »Kannst du noch lauter schreien?«, sagte eine tiefe Stimme.
    »Soll er uns doch hören«, sagte der Erste, »der kann uns nicht entwischen!«
    Es folgten weitere Pfiffe.
    Christoph war es, als packe ihn eine fürchterliche Hand im Genick. Sie hatten den Schein seiner Fackel gesehen! Sie hatten gewartet, bis es hell war und er nicht mehr entkommen konnte. Es war alles umstellt – der Eingang zum Speicher und das Bretterloch zum verlassenen Haus und vielleicht andere Stellen, die er gar nicht kannte. Einen Moment hockte er da wie gelähmt. Dann sprang er hoch. Er brachte sogar die Ruhe auf, die Kiste von außerhalb des Verschlags noch einmal anzuschauen, und er zog die Türe des Verschlags, die klemmte, kräftig zu.
    Er biss dabei auf die Zähne: Es darf nicht sein! Sie dürfen mich jetzt nicht noch kriegen – der Vater! Esther! Schon jagte er die Leiter hoch, da hörte er unten einen Schlüssel im Tor des Speichers rasseln, dass es in dem weiten Raum hallte.
    Er hastete über die Ballen des Herrn Dopfschütz zu der letzten Säule vor dem Hausgiebel, der von hier unten fast drohend in den Dachraum des Speichers hineinragte. Er hörte, wie das große Tor des Speichers rasselnd und knarrend aufging. Er stieg die zweite Leiter hoch und klammerte sich in einer aufsteigenden Schwäche mit beiden Armen an die Säule. Dort, fast mit den Händen konnte man sie greifen, war die Luke, durch die er gekommen war, mit dem schräg zu ihm hin geöffneten Laden. Wie ein Galgen ragte sehr hoch darüber der Balken für die hölzerne Aufzugsrolle mit dem Seil.
    Er riss sich mit Gewalt zusammen: Konnten sie ihn von unten sehen? Es war noch sehr dunkel hier oben unter dem Dach.
    Philo!
    Dann stieß er sich ab. Er knallte mit der ganzen Wucht des Sprunges mit Kopf und Schulter gegen die Innenseite des schräg stehenden Ladens. Der öffnete sich mit einem laut krächzenden Ton und Christoph fiel polternd in den Dachraum des leeren Hauses hinein. Kopf und Schulter taten weh und er war halb blind vor Staub.
    Von unten aus dem Speicher hörte er Stimmen: »Dort oben ist er!«
    »Im Vorderhaus.«
    »Vorne ist alles besetzt, da kommt er nicht hinaus!«
    Christoph hatte beide Hände um den Beutel auf seiner Brust mit dem Gewicht verkrallt. Seine Gedanken jagten wie im Fieber, wohin? Gleichzeitig rannte er schon zur Leiter und kletterte hinab. Ohne zu wissen, was er eigentlich wollte, jagte er durch den oberen Ern zur Vorderseite des Hauses. Kammern, Gänge, eine große Stube, leer und kahl – alles im Dämmerlicht der vernagelten Fenster. Dort – ein Strom von Licht, das sich durch eine Mauer ergießt: die vermauerte Galerie mit ihrer halb hinabgebrochenen Wand.
    Drüben gegen das schräge Licht der aufgehenden Sonne war das Nachbarhaus, dazwischen die Stangen und Seile, an denen die Tierhäute den Blick hinab in die Gasse versperrten. Ohne recht zu überlegen, was er tat, ließ er sich durch den Mauerspalt hinab. Konnte er von hier mit den Füßen eine der Stangen erreichen? Er konnte. Er richtete sich auf – trug sie ihn?
    Da war wieder die tiefe Stimme des alten Balthas: Ganz ruhig atmen, ganz ruhig. Die Arme ausstrecken, dein ganzes Gewicht liegt auf den Fußsohlen. Gut, dass du barfuß bist. Die Arme halten das Gleichgewicht, auch wenn es schwankt wie jetzt, da ist nichts dabei, wenn man ganz locker in den Hüften ist. Ein Schritt und wieder ein Schritt, einer nach dem anderen. Den Blick nur auf deinen Weg richten. Auf der ganzen Welt gibt es jetzt nichts als diesen Weg. Es ist keine Stange, es ist nichts als ein Weg, auch wenn er wippt und sich jetzt sehr durchbiegt. Nichts wird brechen, nasse Tierhäute sind viel schwerer als du.
    Ein winziger schrecklicher Blick in die Tiefe!
    Das geht dich nichts an. Du gehst wie in einem Trichter. Ruhig atmen. Die Stimme war gleichmäßig, man konnte sich anlehnen an diese warme Stimme wie an einen
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