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Schwarzer Valentinstag

Schwarzer Valentinstag

Titel: Schwarzer Valentinstag
Autoren: Günther Bentele
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ein Dietrich, um Schlösser zu öffnen. Es sei wichtig, dass er das Schloss des Verschlags unversehrt hinterlasse, hatte Philo ihm geraten – was immer er finde, er müsse es so mitnehmen, dass Herr Dopfschütz den Diebstahl nicht bemerke, sonst würde er womöglich wieder verfolgt.
    Auf die Frage, wie es Philo gehe, begann Huny zu weinen. Auf einmal seien die Bretter an dem Fenster, durch das sie eingestiegen seien, vernagelt. Da wusste Christoph, dass Philo nicht mehr lebte.
     
     
    Der Schmerz um Philo war groß und bitter.
    Die Erinnerungen waren übermächtig: das gemeinsame Üben im Schwarzwald, der Tag, an dem er Philo als Bettler in Straßburg getroffen hatte, all die Dinge, die sie zusammen gemacht hatten, und der Vater und Balthas und Regine und die Juden, Nachum, Löb, Abraham – Esther!
    Er machte tagelang sinnlose Wanderungen durch die öde Stadt.
     
     
    Nein, Huny machte bei dem Diebstahl nicht mit. Huny hatte Angst.
    »Aber du bist doch auch heimlich zu Philo und hast ihm Essen und Trinken gebracht.«
    Aber da hatte Huny auch Angst gehabt.
    Schließlich schämte sich Christoph vor dem kleinen Jungen: Ich werde es doch auch alleine schaffen!
    In das Haus müsse er nachts eindringen mit einer Fackel. Die Fackel müsse er aber ausmachen, bevor er in den Speicher gelange, weil man den Schein von außen sehe. Er müsse dann im Speicher warten, bis es hell werde. Das Siegel auf der Kiste müsse er aufbrechen und zum Schluss wieder so zusammenfügen, dass von außen nicht zu erkennen sei, dass es aufgebrochen worden war. Es könne dann Jahre dauern, bis jemand den Diebstahl bemerke.
    Christoph hatte eine dunkle Nacht ohne Mond und Sterne abgewartet. Er brach auf, nachdem die Turmuhren die Mitternacht geschlagen hatten. Streifenden Stadtsoldaten solle er erzählen, bei seinem Herrn sei die Pest ausgebrochen, er brauche einen Arzt. Niemand würde ihm dann eine zweite Frage stellen.
    Wie sorgfältig Philo trotz seiner Schmerzen alles geplant hatte!
    Die Luft war unruhig. Einzelne Regenspritzer schlugen Christoph ins Gesicht, als er hinüberging in das Viertel der Gerber. Der Wind zerrte an seiner Fackel, dass die Funken stoben. Die schweren Tierhäute, die an den Seilen und Stangen über der Gasse hingen, schwankten in irrwitzigen Bewegungen. Es gab große Lücken, viele Stangen und Seile waren nicht mehr beladen.
    Auf dem ganzen Weg begegnete er niemand als ein paar weinenden Kindern.
     
     
    Das Licht der Fackel sprühte über die verrammelte Türe und die Bretterverschläge an den Fenstern des verkommenen Gerberhauses.
    Christoph fand den Radabweiser, schaute sich noch einmal herzklopfend um und setzte ein Stück Eisen an, das er an einer der Schmieden mitgenommen hatte, drückte die Bretter krachend auf die Seite, kletterte in das Innere des Hauses, und das Herz begann schneller zu klopfen.
    Es war, als sei Philo bei ihm, der in diesem Hause gestorben war. Die Fackel musst du vorsichtig austreten, wenn du den Übergang zum Speicher gefunden hast – womöglich lässt du sonst das ganze Haus samt dem Speicher in Flammen aufgehen!
    So weit war Christoph noch lange nicht. Erst musste er den Weg durch das Haus finden.
    Und geh ja nicht in die Kammer, in der ich jetzt liege, hatte Philo hinzugefügt, damit ich dich nicht noch anstecke, wenn ich schon tot bin.
    Die Fackel warf ein rötliches Licht auf die kahlen, spinnwebverhangenen Wände der leeren Räume. Unter seinen bloßen Sohlen spürte er Steinplatten und aufgeworfene Dielen. Es roch brandig nach Gips und nassem Stroh.
    Bald war die Stiege erreicht, an der einige Tritte fehlten. Die anderen waren ausgetreten.
    Die Fackel machte ihn halb blind.
    Bis jetzt war Christoph einigermaßen ruhig gewesen. Aber jetzt kam er in den langen Gang, von dem eine Türe in Philos Kammer abging.
    Das Bett war leer.
    Er müsse den Ern einfach weitergehen und komme dann an eine Stiege. Vorsicht! Die Tritte seien hier morsch, weil es vom Dach hereinregne! Wenn er oben sei, schließe sich eine Leiter an, die ihn auf den Dachboden führe. Auch diese Leiter sei morsch.
    Was waren das für Geräusche? Waren ihm nicht schon von Anfang an Schritte gefolgt? Die Fackel hatte so eigenartige Schatten in die leeren Räume geworfen: Warum war dieses riesige Haus verlassen worden? War es verflucht? – War ein Verbrechen geschehen? Hausten nicht die unerlösten Seelen ehemaliger Bewohner in verlassenen Häusern? – Nachts würden sie lebendig, stürzten sich auf Eindringlinge und
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