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Schwarzer Tanz

Schwarzer Tanz

Titel: Schwarzer Tanz
Autoren: Tanith Lee
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an, eine Einrichtung, die ebenfalls von dem Hausbesitzer stammte, hässlich, aber wärmend. Sie zog die beigefarbenen Vorhänge zu, um den Nebel auszusperren. Er schien selbst in diesen Raum vorgedrungen zu sein, war wie Blütenpollen oder Gas durch die unzähligen verborgenen Risse und Spalten des Hauses hereingekrochen. Rachaela öffnete den Kühlschrank in ihrer Miniküche. Sie holte einige Scheiben Brot heraus und schob sie in den Toaster. Sie machte sich eine Tasse Kaffee, nach der sie eigentlich gar kein Verlangen hatte, die ihr jedoch ein angenehmes Gefühl vermittelte, da sie das Ritual des Heimkehrens vervollständigte. Es war angenehm, sich nur selten Sorgen um eine Mahlzeit machen zu müssen. Als ihre Mutter noch lebte, hatte immer ein warmes Abendessen auf dem Tisch gestanden; billige Würstchen und harter Kohl, wässrige Omelettes, oft verbrannt, und Pellkartoffeln, deren schwarze Augen sie vom Teller aus anglotzten.
    Rachaelas Mutter war ganz plötzlich an einem Herzinfarkt gestorben. Rachaela ertrug das Mitleid der Nachbarn und der Freunde ihrer Mutter mit Gleichmut. Sie war damals fünfundzwanzig Jahre alt gewesen, hatte immer bei ihrer Mutter gelebt, und man erwartete von ihr, dass sie trauerte und zusammenbrach.
    Doch Rachaela erledigte die Formalitäten für die Beerdigung ihrer Mutter, ohne auch nur eine Träne zu vergießen. Auf dem Friedhof, als der muntere, junge Geistliche der » lieben, alten Dame « gedachte – ihre Mutter hatte sich selbst, solange sie lebte, als » mittleren Alters « bezeichnet –, hatte Rachaela einen schrecklichen Schmerz am ganzen Körper, besonders am Herzen verspürt. Zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren konnte sie sich entspannen. Sie war frei.
    Und sie hörte nie auf, Dankbarkeit für diese Freiheit zu empfinden. Sie genoss das Alleinsein. Sie vermisste ihre Katze, die ihr eine gleichgültige und fast sorglose Liebe entgegengebracht hatte, ihre Katze, die nie wütete oder schrie, die ihr nie etwas befahl und nie etwas von ihr verlangte. Ihre Mutter jedoch war wie ein Gewicht aus Blei gewesen, das an ihren Füßen hing. Rachaela hatte sich lange so leicht wie ein Lufthauch gefühlt.
    Bis jetzt.
    Jetzt kam es ihr vor, als wolle ihre Mutter erneut von ihr Besitz ergreifen. Die schuldbeladenen Seitenarme des Familienstammbaums, der Zweig des unbekannten Vaters, der, bevor er sie im Stich ließ, gerade genug gestanden hatte, um ein lebenslang währendes Stigma des Betrugs und der Täuschung zu hinterlassen.
    Seine Familie, nicht Simon, jedoch mit einem Namen belastet, den Rachaela kaum vergessen konnte, da sich seine Unaussprechlichkeit in der Wiederholung verlor. Scarabae – was wie Scarraby klang.
    Der eigenartige Name eines eigenartigen Mannes, der für eine Nacht geblieben war.
    » Ich liebte ihn, dieses Schwein, diesen Abschaum«, hatte Rachaelas Mutter gesagt.
    Sie hatte seinen Namen nicht angenommen. Ihr eigener Name war Smith, so dämlich, dass ihn Rachaela, sobald sie allein war, einfach ablegte.
    Rachaela stellte das Radio an, das dritte Programm, und lauschte Schostakowitschs unverkennbarem Geschmetter silbriger Töne. Sie setzte sich neben das Feuer und zog ihre Stiefel aus. In einer halben Stunde würde sie ihr Abendessen zubereiten, Toast mit Käse. Morgen war Freitag, und sie würde im Delikatessengeschäft einen Salat und etwas Aufschnitt besorgen. Vielleicht auch ein wenig Wein.
    Draußen wartete der schweigende Nebel. Sie hatte den Brief von Lane und Soames zerrissen und ihn in der Buchhandlung in den Papierkorb geworfen.
    Vielleicht war sie ja auch an etwas Geld geraten.
    Würde sie es annehmen, wenn es von der schamlosen Familie ihres Vaters stammte?
    » Er ist mittlerweile tot. Kein Wunder bei dem Lebenswandel«, tönte ihre Mutter laut in Rachaelas Gedanken. Vier Jahre waren seit der Beerdigung vergangen.
    » Sie sind einfach nicht hingegangen, oder?« Die Stimme des jungen Mannes klang anklagend.
    Sie hatte versucht, ihm aus dem Weg zu gehen, indem sie die Regale abstaubte, alte, mit Stockflecken verunzierte Bücher hervorzog und sie sorgfältig abbürstete.
    » Geht Sie das etwas an?«
    Der junge Mann wurde leicht nervös. Die Leute verließen sich stets darauf, dass man ihnen gegenüber nicht ausfallend wurde, während sie selbst immer beleidigender wurden. Rachaela machte dieses Spiel nicht mit.
    » Nein, nun, ja. Ich habe den Brief ausgeliefert. Jetzt denkt der alte Soames, ich hätte Mist gebaut und ihn nicht abgegeben.«
    » Das haben Sie
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