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Schwarzer Tanz

Schwarzer Tanz

Titel: Schwarzer Tanz
Autoren: Tanith Lee
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gebeten, Ihnen das zu bringen. Sie haben nach Ihnen gesucht, müssen Sie wissen.«
    Sie hatte die Sprache wiedergefunden.
    » Wer?«
    » Meine Firma, Lane und Soames. Wir haben Sie gesucht, und dabei waren Sie die ganze Zeit direkt vor unserer Nase.«
    Man hatte sie also gejagt.
    Rachaela zog den Umschlag an ihre Brust. Ihre Hände hielten ihn fest umklammert.
    Sie hatte ihn gespürt, den schweigenden Verfolger im Nebel. Day war eigentlich nicht ihr richtiger Name, sie benutzte ihn jedoch schon seit Jahren. Vielleicht war er in der Zwischenzeit schon legal geworden ; auf jeden Fall stand er auf ihrer Versicherungskarte, und sie bezahlte ihre sämtlichen Rechnungen unter diesem Namen.
    Möglicherweise handelte es sich aber trotzdem um ein Missverständnis.
    » Sind Sie sicher, dass ich die Richtige bin?«
    » Da dürfen Sie mich nicht fragen. Ich bin nur der Botenjunge. Habe gesagt, ich würde es bei Ihnen vorbeibringen.«
    Seine fröhlichen Augen blickten ausdruckslos; er mochte sie nicht, ihre Distanz, oder ihre unaufdringliche, zurückhaltende Schönheit, die man kaum wahrnahm, und die weder durch Make-up noch durch elegante Kleidung besonders betont wurde.
    » Also dann«, sagte er. » Zurück in die Suppe.«
    Er ging ohne ein weiteres Wort, die Tür schloss sich hinter ihm. Im Laden war jetzt ebenfalls dichter Nebel, und Rachaela erinnerte sich an Alice im Spiegelland, den Laden mit den Schafen und das stetig ansteigende Wasser …
    Im Hinterzimmer hing Mister Gerard am Telefon.
    » Aber ich sagte zu ihm, Mac, mein Lieber, du kannst nicht einfach …«
    Er würde mindestens eine Stunde lang beschäftigt sein. Vor den Fensterscheiben stand die weiche, zart graugelbe Wand. Dahinter konnte sich alles Mögliche verbergen, die Soldaten eines Exekutionskommandos, halbverhungerte Bestien, die aus dem Zoo entflohen waren. War es ein Leopard, der sie durch den Nebel verfolgt hatte?
    Rachaela bemerkte, dass ihre Hände zitterten.
    Sie riss den Umschlag auf.
    › Liebe Miss Day. ‹
    Sie wissen es nicht.
    › Wären Sie so nett, in meinem Büro vorbeizukommen, wann immer es Ihnen passt. ‹
    Irgendjemand, irgendjemand weiß es.
    › Meine Klienten, Mitglieder der Familie Simon, haben mich gebeten, Sie in einer Angelegenheit ausfindig zu machen, die für beide Seiten von Vorteil sein könnte. ‹
    Der Name ist auch nicht echt.
    Es sei denn … etwas anderes …
    Was könnte es sonst noch sein?
    Am einfachsten wäre es, den Brief des Anwalts zu ignorieren. Und doch waren sie schon so nahe. Lane und Soames, nur durch ein paar Meter und eine Mauer von ihr getrennt.
    Vor Rachaelas innerem Auge erschien das müde und verbitterte Gesicht ihrer Mutter.
    » Lass dich nicht mit ihnen ein.«
    Sie konnte ihr Herz hören. Eine Trommel im Nebel.
    » Oh, nun komm schon, erzähl mir nichts!«, röhrte Mister Gerard in den Telefonhörer.
    Um sechs Uhr trat Rachaela auf die Straße hinaus. Mister Gerard, in Dufflecoat und Schal gehüllt, verschloss den Laden.
    » Was für ein fieser Abend.«
    Es dunkelte allmählich, der Nebel warf seine Schatten auf den Bürgersteig, viele grelle Lichter durchbrachen ihn, wirkten verschwommen und gefährlich.
    » Passen Sie auf, wohin Sie gehen, Rachaela.«
    » Ja«, sagte sie. » Gute Nacht.«
    » Vielleicht solltest du dich einfach in Luft auflösen«, schimpfte Mister Gerard wutentbrannt über das klemmende Türschloss.
    Rachaela überquerte die Straße beim Lane-und-Soames-Gebäude. Die riesigen Löwen saßen, vor Nässe ganz schwarz, sprungbereit auf den Hinterläufen, rührten sich jedoch nicht. Niemand konnte sie zwingen, zwischen ihren großen Tatzen hindurchzugehen und hineinzugehen.
    Sie lief in östlicher Richtung weiter und geriet in den breiten Strom der allabendlichen Heimkehrer, die sich durch die Straßen schoben und drängelten. Sie wartete schweigend an einer Bushaltestelle, während andere Leute über die Verspätung des Busses murrten und fluchten.
    » Du lebst nicht in der realen Welt wie wir anderen.« Das stimmte nicht. Ihre Mutter hatte voller Zorn geglaubt, dass die Bosheit dieser Welt Rachaela nichts anhaben könnte.
    Schließlich kam der Bus doch noch.
    Männer und Frauen drängelten sich vor sie. Sie ließ es geschehen. Die Welt war für Rachaela etwas äußerst Schreckliches, und sie erwartete deshalb auch nichts Gutes von ihr. Aus diesem Grund weigerte sie sich standhaft, irgendwelche Freundschaften oder Liebesbeziehungen einzugehen, war jedoch trotzdem einmal von einem
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