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Schwarzer Engel

Schwarzer Engel

Titel: Schwarzer Engel
Autoren: V.C. Andrews
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in welchem Monat kamst du zur Welt?« fuhr Tony mit seinem Kreuzverhör fort. Er hatte lange, kräftige Finger, und seine Nägel glänzten.
    »Am 21. Februar«, antwortete ich und nannte zwar das richtige Datum, aber das falsche Jahr – ich sagte ihm Fannys Geburtsjahr, ein Jahr nach meinem. »Sie war schon über ein Jahr mit Pa verheiratet«, fügte ich hinzu. Ich nahm an, das klänge besser als eine Geburt genau acht Monate nach der Hochzeit. Das hätte den Eindruck erweckt, als ob meine Eltern es wahnsinnig eilig gehabt hätten, miteinander ins Bett zu kommen… Und erst als ich das ausgesprochen hatte, begriff ich tatsächlich, was ich gesagt hatte.
    Ich hatte mich selbst gefangen. Jetzt hielten sie mich erst für sechzehn, und ich konnte ihnen nie von meinen Halbbrüdern Tom und Keith erzählen, auch nicht von meinen Halbschwestern Fanny und ›Unsere‹ Jane. Dabei hatte ich doch allen Ernstes vorgehabt, die Hilfe der Eltern meiner Mutter zu gewinnen, um meine Familie wieder unter einem Dach zusammenbringen zu können. O Gott, vergib mir, daß ich zuerst an mich gedacht hatte!
    »Tony, ich bin müde. Du weißt, ich muß mich zwischen drei und fünf Uhr ausruhen, wenn ich auf der Party heute abend hübsch aussehen soll.« Ihre Miene wirkte leicht bekümmert, hellte sich aber rasch wieder auf. »Heaven, Schatz, du hast doch nichts dagegen, wenn Tony und ich heute abend für ein paar Stunden ausgehen, oder? In deinem Zimmer ist ein Fernseher, und im ersten Stock gibt es eine wundervolle Bibliothek mit Tausenden von Büchern.« Sie beugte sich vor und küßte mich leicht auf die Wange. Ihr Parfüm, das bereits das ganze Auto durchdrungen hatte, betäubte mich. »Ich hätte ja abgesagt, aber bis heute morgen hatte ich total vergessen, daß du kommst…«
    Meine Fingerspitzen waren eingeschlafen und prickelten, vielleicht weil ich sie so stark verkrampft hatte. Schon jetzt fanden sie also Ausreden, um mich loszuwerden. In den Bergen hätte keiner seinen Gast in einem fremden Haus allein gelassen. »Ist schon gut«, murmelte ich schwach. »Ich bin auch ein bißchen müde.«
    »Da siehst du es, Tony, sie hat nichts dagegen, ich hab’s dir ja gesagt. Außerdem werde ich das wiedergutmachen, Heaven Schatz, ganz bestimmt. Morgen werde ich dich zum Reiten mitnehmen. Du kannst doch reiten? Wenn nicht, bringe ich’s dir bei. Ich wurde auf einem Pferdehof geboren, und mein erstes Pferd war ein Hengst…«
    »Also, bitte, Jillian! Dein erstes Pferd war ein ängstliches, kleines Pony.«
    »Du bist ein fürchterlicher Langweiler, Tony! Es ist doch wirklich egal, und außerdem klingt es besser, wenn man auf einem Hengst das Reiten gelernt hat und nicht auf einem Pony.
    Nebenbei war Scuttles ein süßer kleiner Schatz.«
    Da ich jetzt wußte, daß sie alles und jeden »Schatz« nannte, war es gar nicht mehr so nett, »Heaven Schatz« gerufen zu werden. Trotzdem zitterte ich, wenn sie mich anlächelte und mit ihren Handschuhen sanft meine Wange streichelte, so hungrig war ich nach Zuneigung. Mehr als alles andere wünschte ich mir ihre Zuneigung, vielleicht sogar ihre Liebe, und ich wollte versuchen, das so schnell wie möglich zu erreichen! »Sag mir nur, daß deine Mutter glücklich war, mehr muß ich nicht wissen«, flüsterte Jillian.
    »Sie war es bis zu ihrem Todestag«, flüsterte ich und log nicht einmal. Denn glücklich war sie gewesen, närrisch vor Glück, trotz der kläglichen Situation in einer provisorischen, armseligen Berghütte und trotz eines Ehemannes, der ihr nichts von dem, was sie gewohnt war, bieten konnte. So hatten es zumindestens Granny und Großpapa geschildert.
    »Dann brauche ich nichts weiter zu hören«, summte Jillian, umarmte mich und preßte mein Gesicht tief in den Kragen ihres Pelzmantels.
    Was würden sie sagen, wenn sie die Wahrheit über mich und meine Familie wüßten? Würden sie nur lächeln und denken, ich wäre bald wieder verschwunden und dann wäre es doch egal? Unter keinen Umständen durfte ich ihnen die Wahrheit verraten. Sie mußten mich als eine von ihnen akzeptieren lernen. Ich mußte erreichen, daß sie mich brauchten – und momentan hatten sie noch keine Ahnung! Obendrein beabsichtigte ich nicht, mich abschrecken zu lassen und meine Verletzbarkeit offen zu zeigen. Ihr Englisch war anders als meines, deshalb mußte ich gut zuhören, denn sogar vertraute Wörter klangen in ihrer Aussprache fremd. Ich hatte mich entschlossen, daran zu arbeiten, um ganz schnell in ihre Welt
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