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Schwarzer Engel

Schwarzer Engel

Titel: Schwarzer Engel
Autoren: V.C. Andrews
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ich selbst siebzehn, aber bis dorthin waren es noch ein paar Monate. Bei meiner Geburt war meine Mutter gerade vierzehn – und das war gleichzeitig auch ihr Todestag.
    Jetzt wäre sie also einunddreißig. Nun hatte ich ziemlich viel gelesen, und nach allem, was ich über den Bostoner Adel wußte, heiratete man nie, bevor die Ausbildung abgeschlossen war. Im Gegensatz zu West Virginia wurden Ehemänner und Kinder im Leben der jungen Bostoner Mädchen nicht für so entscheidend gehalten. Diese Großmutter hätte also bei ihrer ersten Heirat mindestens zwanzig sein können. Dann müßte sie jetzt wenigstens um die Fünfzig sein – dasselbe Alter, wie ich Granny am besten in Erinnerung hatte. Granny, mit ihren langen, dünnen, weißen Haaren, ihren verkrümmten Schultern und einem Buckel, mit ihren arthritischen Fingern und Beinen, ihren erbärmlich wenigen, eintönigen, dunklen Kleidern und ihren ausgetretenen Schuhen.
    Arme Granny, einmal warst du sicher genauso hübsch wie diese Frau.
    Intensiv und ungeniert hatte ich meine jugendliche Großmutter gemustert. Das trieb zwei kleine Tränen in die Winkel ihrer kornblumenblauen Augen, die genau wie meine eigenen aussahen; Tränen, die dort hängen blieben.
    Durch ihre kleinen, unbeweglichen Tränen ermutigt, konnte ich wieder sprechen: »Großmutter, was hat dir mein Vater von mir erzählt?« Ganz langsam kam diese Frage, zitternd, sehr ängstlich. Mir hatte Pa nämlich erzählt, er hätte mit meinen Großeltern gesprochen und sie würden mich in ihrem Haus willkommen heißen. Aber was hatte er ihnen außerdem noch erzählt? Immer hatte er mich verachtet und mir die Schuld am Tod seines »Engels« gegeben. Hatte Pa ihnen alles erzählt?
    Wenn ja, dann würden sie mich nie mögen, geschweige denn lieben lernen, und ich brauchte doch jemanden, der mich so liebte wie ich war – alles andere als vollkommen.
    Die schimmernden blauen Augen fixierten mich ausdruckslos. Es bedrückte mich, wie leer ihre Augen werden konnten, so als ob sie ihre Emotionen einfach an- und ausschalten konnte. Im Gegensatz zu ihren kalten Augen und den bedeutungsschweren Tränen, klang ihre Stimme angenehm warm: »Liebe Heaven, sei ein Schatz und nenne mich nicht
    ›Großmutter‹! Ich versuche so sehr, meine Jugend zu erhalten, und ich habe den Eindruck, meine Anstrengungen hatten Erfolg. Wenn man mich jetzt vor allen meinen Freunden, die mich für viel jünger als in Wahrheit halten, ›Großmutter‹ rufen würde, wäre alles verdorben. Ich wäre zutiefst gedemütigt, bei einer Lüge ertappt zu werden. Zugegeben, ich schwindle immer über mein Alter, manchmal sogar beim Arzt. Sei also bitte nicht verletzt oder beleidigt, wenn ich dich darum bitte, mich ab jetzt Jillian zu nennen.«
    Wieder ein Schock, aber allmählich gewöhnte ich mich daran. »Aber, aber«, stotterte ich, »wie willst du dann erklären, wer ich bin? Und wo ich herkomme? Und was ich hier tue?«
    »Meine Liebe, Schätzchen, bitte schau nicht so verletzt!
    Unter uns, vielleicht bei seltenen Gelegenheiten, könntest du mich… nein! Beim zweiten Nachdenken würde auch das nicht gehen. Wenn ich es dir erlaubte… würdest du es doch vergessen und mich gedankenlos ›Großmutter‹ rufen. Es ist schon richtig, wenn wir’s gleich von Anfang an dabei bewenden lassen. Schau, Liebes, es ist ja keine echte Lüge.
    Frauen müssen einfach alles dransetzen, um ihr persönliches Geheimnis zu wahren. Ich schlage vor, du fängst schon jetzt an, dein wahres Alter zu verschweigen, dazu ist es nie zu früh.
    Und ich werde dich ganz einfach als meine Nichte vorstellen, Heaven Leigh Casteel.«
    Es dauerte eine Weile bis ich begriffen hatte und meine nächste Frage formulieren konnte: »Hast du denn eine Schwester, die genau wie ich Casteel heißt?«
    »Wieso? Nein, natürlich nicht«, antwortete sie mit einem gekünstelten Lachen. »Aber meine beiden Schwestern waren so oft verheiratet und wieder geschieden, daß sich kein Mensch an alle Namen erinnern kann, die sie je hatten. Und du mußt dann nichts erfinden, oder? Sag einfach, du möchtest nicht über deine Herkunft sprechen. Und sollte jemand hartnäckig weiterbohren, dann erzähle diesem aufdringlichen Menschen, daß dich dein Vater in seine Heimatstadt gebracht hat… wie hieß sie noch gleich?«
    »Winnerow, Jill«, antwortete Tony, schlug die Beine übereinander und strich mit den Fingern sehr sorgfältig die Bügelfalte seiner grauen Hose glatt.
    In den Willies wollten die meisten Frauen
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