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Hab ich selbst gemacht

Hab ich selbst gemacht

Titel: Hab ich selbst gemacht
Autoren: Susanne Klingner
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Prolog
    Ehrlich gesagt, weiß ich nicht mehr genau, womit alles anfing. Ich weiß nur: Auf einmal war da dieser Wunsch, so viel wie möglich selbst zu machen.
    Es gab eine Menge gute Gründe dafür: Ich könnte kreativ sein, etwas mit meinen eigenen Händen herstellen, würde ausprobieren, weniger zu konsumieren – stattdessen würde ich produzieren. Nicht zuletzt: Ich würde mich mit der Umsetzung der Idee in ein Abenteuer stürzen – und wer bitte mag keine Abenteuer?
    Ich jedenfalls brauchte eines, dringend, das wurde mir über die letzten Wochen oder vielleicht sogar Monate hinweg klar. Tag für Tag sitze ich acht bis zehn Stunden am Computer. Wie vermutlich jeder andere Durchschnittsarbeiter in der Wissensgesellschaft. Wir produzieren und produzieren, aber es »entsteht« nicht wirklich etwas daraus. Zumindest nichts »Handfestes«. Am Ende des Tages existieren ein paar neue Ideen, neue Texte, neue Vereinbarungen. Aber die kann ich nicht anfassen, nicht sehen, nicht riechen. Stattdessen: Computer aus, Bezug zum Tagewerk weg.
    Meine Hände sind notorisch unterfordert, fast schon gelangweilt, meistens berühren sie den ganzen Arbeitstag lang kaum etwas anderes als die Plastiktastatur des Computers. Dabei könnten sie doch eigentlich so viel mehr: kneten, schnippeln, rühren, graben, zupfen, stutzen, falten, Stoff glatt streichen, einen Pinsel schwingen, die Bohrmaschine umfassen, einen Hammer festhalten.
    Gedanklich habe ich meinen Händen diese Möglichkeiten schon ziemlich oft gegeben. Ich dachte mir, während ich eine Fertigpizza in den Ofen schob: ›Ich könnte Pizza auch einfach selber backen.‹ Oder: ›Ich sollte versuchen, mir so ein Kleid selber zu nähen‹, als ich das Preisschild des Designerkleides sah, in das ich mich gerade verliebt hatte. ›Und könnte ich nicht mehr als nur Salbei, Basilikum, Rosmarin und Pfefferminze auf dem Balkon anbauen?‹, fragte ich mich, während ich ein paar Blätter vom Basilikum zupfte und über die gekauften Tomaten streute.
    Immer öfter kam mir der Gedanke: Ich sollte viel mehr selber machen. Und immer wieder folgte dem Gedanken die Erkenntnis: Das kann ich doch gar nicht. Oder: Mir fehlt dazu einfach die Zeit.
    In einem Selbermach-Jahr dagegen müsste ich mir die Zeit nehmen. Und ich müsste eben lernen, wie etwas gemacht wird.
    Also beschloss ich: Im nächsten Jahr mache ich alles selbst. Kann schon sein, dass so ein Entschluss manchen Menschen seltsam vorkommt. Aber ich bin nicht allein mit meinem Wunsch, mehr mit meinen Händen zu arbeiten. Zeitungen und Magazine im ganzen Land schreiben, Selbermachen sei das neue große Ding. Sie sagen, die Deutschen würden wie verrückt gärtnern, werkeln, stricken – ganz Deutschland suche im Baumarkt und in der Gartenerde das Glück.
    Vielleicht suchen Menschen Erfüllung im Selbermachen, weil sie sie im Konsum nicht finden. Vielleicht ist es wie bei mir das einfache Bedürfnis, etwas mit den Händen zu tun. Vielleicht zeigt sich in diesem Trend auch die weltweite Wirtschaftskrise, und Menschen machen wieder mehr selber, weil ihnen das Geld fehlt, um alles einfach zu kaufen.

    Vielleicht wollen sie aber auch individuell sein. Mich jedenfalls nervt es, wenn ich auf der Straße ständig Menschen mit dem gleichen T-Shirt treffe, das auch ich trage. Ein Shirt, das ich bei einer großen Bekleidungskette gekauft habe, obwohl ich davon ausgehen muss, dass die Produktionsbedingungen in ihren Fabriken mies sind. Weil so ein Shirt weniger als einen Zehner kostet.
    Vielleicht ist es auch eine Mischung aus allem. Es gibt auf jeden Fall viele gute Gründe, meine T-Shirts in Zukunft selber zu machen. Da ich sogar eine Nähmaschine besitze, die ich sogar hin und wieder benutze, hält mich eigentlich gar nichts davon ab, Teil der Do-it-yourself – Bewegung zu werden. Außer meiner Faulheit.
    So politisch der Selbermachgedanke sein kann, so egoistisch können auch die Motive sein. Denn eine kreative Sinnsuche kann sich beispielsweise nur leisten, wer ansonsten keine oder nur sehr wenige Probleme hat. Wer jeden Tag auf dem Feld oder in der Fabrik mit seinen Händen malochen muss, hat vermutlich kein Bedürfnis, abends noch etwas »Echtes« herzustellen. Do it yourself ist ein Phänomen, das durch die Konsum- und Luxusgesellschaft noch angefeuert wird. Zu der auch ich gehöre, denn ich habe keine grundlegenden existenziellen Sorgen. Ich arbeite fünf Tage pro Woche, in der Regel von zehn bis sieben Uhr. Und zwar als freie Journalistin
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