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Schwarze Themse

Schwarze Themse

Titel: Schwarze Themse
Autoren: Anne Perry
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er sich finanziell hatte einschränken müssen, hatte er sich stets gut gekleidet. Er besaß eine natürliche Eleganz, und der Stolz gebot ihm, dass die Schneiderrechnung vor derjenigen des Metzgers bezahlt wurde. Aber damals war er noch unverheiratet
gewesen. Jetzt würde er diese Reihenfolge wohl umkehren müssen, und das lastete bereits schwer auf ihm. Es war eine Art Niederlage. Aber er hatte damit gerechnet, dass ein Mann wie Louvain, der mit der Seefahrt zu tun hatte, ein Anliegen haben konnte, welches es erforderlich machte, dass sie beide sich aufs Wasser begaben, und so hatte er sich entsprechend gekleidet. Seine Stiefel waren schwer und gut besohlt, sein Mantel war bequem geschnitten und würde gegen den Wind schützen.
    Er folgte Louvain die Treppe hinunter und durch das Vorzimmer, wo Schreiber auf hohen Bürostühlen saßen und sich, Federn in der Hand, über die Hauptbücher beugten. In der Luft lag der Geruch von Tinte und Staub, und als Monk an dem eisernen Ofen vorbeikam, öffnete gerade jemand die Klappe, um Kohlen nachzulegen, sodass auch noch der beißende Rauch dazukam.
    Draußen auf der Straße zum Dock wurden sie sofort von dem Wind gepackt, der scharf vom Fluss herüberblies, auf der Haut brannte, ihnen das Haar aus dem Gesicht wehte und mit dem salzigen Geschmack der hereinkommenden Flut in die Kehle drang. Die Luft roch nach Fisch, Teer und nach dem sauren, durchdringenden Schmutzwasser in den Abflüssen jenseits der Kais.
    Das Wasser schlug in endlosen Bewegungen gegen die Pfosten des Piers, sein Rhythmus wurde nur ab und zu vom Kielwasser der schwer beladenen, tief im Wasser liegenden Barkassen unterbrochen. Sie bewegten sich langsam den Fluss hinauf in Richtung London Bridge und weiter. Das Kreischen der Seemöwen war schrill, und doch rief es Monk bedeutungsvolle Erinnerungen ins Gedächtnis, kurze Bilder seines Lebens als Junge in Northumberland. Ein Kutschenunfall vor sieben Jahren, im Jahre 1856, hatte ihn der meisten bunten Erinnerungsfetzen, aus denen sich die Vergangenheit zusammensetzt und die das Bild dessen formen, der wir sind, beraubt. Durch Schlussfolgerungen hatte er etliches davon wieder zusammengesetzt,
und ab und zu öffnete sich plötzlich ein Fenster und gestattete ihm einen kurzen Blick auf eine ganze Landschaft. Wie jetzt beim Schrei der Möwen.
    Louvain ging über das Pflaster auf den Kai zu und daran entlang, ohne nach rechts oder links zu blicken. Die Docks mit ihren riesigen Speichern, den Kränen und Ladebäumen waren ihm vertraut. Er war es gewöhnt, die Arbeiter und Bootsleute und die kleinen Handwerker kommen und gehen zu sehen.
    Monk folgte ihm bis zum Ende des Kais, wo das mit Schaum und treibenden Abfällen bedeckte, dunkle Wasser im Schatten wirbelte und klatschte. Am anderen Ufer lag unterhalb der Gezeitenlinie ein Streifen Schlamm, in dem drei Kinder, fast bis zu den Knien eingesunken, herumwateten. Sie bückten sich und suchten mit geschickten Händen nach allem, was sie finden konnten. Ein Erinnerungsblitz sagte Monk, dass sie wahrscheinlich nach Kohlestücken suchten, die zufällig von einer Barkasse gefallen waren oder ab und an auch absichtlich heruntergeschoben wurden, damit die Dreckspatzen etwas fanden.
    Louvain winkte und rief etwas übers Wasser. Innerhalb weniger Augenblicke glitt ein leichtes, dreieinhalb bis viereinhalb Meter langes Boot an die Stufen heran. Der Mann an den Riemen hatte ein wettergegerbtes Gesicht, dessen Farbe an altes Holz erinnerte, sein grauer Bart bestand nur aus Stoppeln, und der Hut, den er über die Ohren gezogen hatte, verbarg das wenige Haar, das ihm noch geblieben war. Er grüßte kurz, halb salutierend, und wartete auf Louvains Anweisungen.
    Â»Bringen Sie uns zur ›Maude Idris‹«, sagte Louvain, sprang in das Boot und verstand es mühelos, das Gleichgewicht zu halten, als dieses schwankte und schaukelte. Er bot Monk, der hinter ihm herkam, keine Hilfe an – entweder nahm er an, dieser sei an Boote gewöhnt, oder es war ihm egal, ob Monk sich zum Narren machte oder nicht.
    Monk spürte einen Augenblick Angst und Verlegenheit darüber, dass er eventuell unbeholfen wirkte. Er stellte sich steifbeinig
hin, doch sein Instinkt sagte ihm, dass das falsch war, und er entspannte sich und balancierte mit einer Anmut, die sie beide überraschte.
    Der Fährmann schlängelte sich mit viel Geschick zwischen den Barkassen
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