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Schwarze Themse

Schwarze Themse

Titel: Schwarze Themse
Autoren: Anne Perry
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hindurch und fuhr um einen Dreimaster herum, dessen Segeltuch festgezurrt und dessen Spantenwerk verschmutzt war und von langen Tagen unter tropischer Sonne und im Salzwasser abblätterte. Monks Blick folgte dem Schiffskörper, und er sah unterhalb der Wasserlinie die Schalen von Rankenfußkrebsen.
    Er schaute schnell hinauf, als der Schatten eines sehr viel größeren Schiffs auf sie fiel, und hielt in plötzlicher Erregung die Luft an, als die reine Schönheit des Schiffs ihn ergriff. Drei ungeheure Masten mit vierundzwanzig oder siebenundzwanzig Meter langen Rahen, die sich dunkel vor den grauen Wolken abhoben, ragten in den Himmel, die Segel waren aufgerollt und in ordentlichen Reihen aufgetakelt wie eine Radierung am Himmel. Es war einer der großen Klipper, die um die Welt segelten und sich vielleicht mit Tee, Seide und Gewürzen aus dem Fernen Osten von China nach London ein Rennen lieferten. Das erste Schiff, das entladen werden konnte, gewann den gewaltigen Preis, das zweite bekam nur, was noch übrig war. Monk stellte sich tosende Stürme und Meere vor, Himmelswelten, geblähte Segel, Spieren, die im wilden Tanz der Elemente knüppelten. Und dann ruhigere Meere, flammende Sonnenuntergänge, glasklare Wasser, in denen Myriaden verschiedenartigster Kreaturen wimmelten, und windstille Tage, wenn Zeit und Raum sich in die Ewigkeit ausdehnten.
    Er zwang sich zurück in die Gegenwart und zu dem lauten, geschäftigen Fluss, dessen kalte Gischt ihm ins Gesicht schlug. Vor ihnen lag ein Viermaster vor Anker und rollte leicht im Kielwasser einer Reihe von Barkassen. Er war breit und hatte ziemlich viel Tiefgang, ein hochseetüchtiges Schiff, das schwere Frachten transportierte, und unter vollen Segeln trotzdem wendig und leicht zu manövrieren war. Aus dieser
Nähe waren die Kanonenpforten auf dem Vorderdeck deutlich zu sehen. Der Schoner war weder leicht einzuholen noch aufzubringen.
    Doch hier im Heimathafen war er ein leichtes Ziel für zwei oder drei Männer, die sich in der Nacht über das Wasser näherten, seitlich aufs Deck schlichen und eine unaufmerksame Wache überrumpelten.
    Sie waren fast längsseits, und Louvain glich mit einem leichten Schwanken des Körpers die Bewegung des Flusses aus.
    Â»Ahoi! ›Maude Idris‹! Louvain kommt an Bord!«
    Ein Mann erschien an der Reling und blickte zu ihnen herunter. Er war breitschultrig, kurzbeinig und kräftig. »In Ordnung, Sir, Mr. Louvain!«, rief er zurück, und einen Augenblick später polterte eine Strickleiter über die Reling und entrollte sich. Der Fährmann manövrierte das Boot darunter, und Louvain griff nach der untersten Sprosse. Er zögerte einen Augenblick, als wollte er Monk fragen, ob dieser es schaffen würde, nach ihm hinaufzuklettern. Dann überlegte er es sich anders und stieg, ohne sich noch einmal umzudrehen, hinauf. Geübt ergriff er eine Sprosse nach der anderen, bis er oben ankam und sich über die Reling an Deck schwang, wo er auf Monk wartete.
    Monk verschaffte sich einen sicheren Stand, griff nach der Strickleiter, hielt sie fest, hob dann den Fuß, wie er es Louvain hatte tun sehen, streckte die Hand aus, um die dritte Sprosse zu packen, und zog sich hinauf. Einen Augenblick schwebte er gefährlich in der Luft, hatte weder richtig Halt auf dem Boot noch auf der Leiter. Unter ihm schäumte das Wasser. Der Schoner schlingerte, Monk schwang weit hinaus, dann schlug er gegen den Rumpf, wo er sich die Fingerknöchel aufriss. Er drückte sein Gewicht nach oben und nahm die nächste Sprosse und dann die nächste, bis auch er über die Reling kletterte und neben Louvain stand. Keiner von ihnen hatte einen Laut von sich gegeben.
    Monks keuchender Atem beruhigte sich. »Und wie hätten
sie das machen sollen, wenn niemand ihnen eine Leiter runterwarf?«, fragte er.
    Â»Die Diebe?«, meinte Louvain. »Es müssen mindestens zwei gewesen sein, und ein Komplize, den sie vielleicht für den Job angeheuert haben, blieb im Boot.« Er schaute noch einmal auf die Reling und die Wasseroberfläche. Die Sonne sank bereits, und die Schatten waren lang, obwohl das bei dem grauen Himmel schwer zu erkennen war. »Sie sind an Tauen raufgeklettert«, beantwortete er Monks Frage. »Werfen sie von unten mit Enterhaken hoch, verankern sie an der Reling. Ziemlich einfach.« Ein hartes Lächeln zuckte einen Augenblick um seine Lippen.
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