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Schwarze Themse

Schwarze Themse

Titel: Schwarze Themse
Autoren: Anne Perry
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hatte den Hafen von London verlassen, und die anderen Schiffe lagen hinter ihnen. Die »Maude Idris« segelte in Richtung Limehouse Reach, an der Isle of Dogs vorbei, aber bis zum Meer war es ein langer Weg, und es gab viele Stellen, wo sie wenden und auf den anderen Bug gehen musste. Schaffte Durban das alleine, da er doch sehr geschwächt war? Konnte das überhaupt jemand schaffen? Vielleicht ahnte Orme es! War es das, was diese Männer, die sich an den Rudern mächtig ins Zeug legten, in Wirklichkeit wollten  – sichergehen, dass die »Maude Idris« nicht in ein Pier oder ein anderes Schiff krachte oder auf Grund lief?
    Monk hoffte, dass dem nicht so war, er betete, dass es aus Sorge um Durban geschah.
    Durban mühte sich mit einem weiteren Segel ab. Qualvoll langsam zog er es mit jedem Ruck ein kleines Stück den Mast hinauf. Monk merkte nicht einmal, dass er sich auf seinem Platz vorbeugte und dass seine Muskeln vor Anstrengung schmerzten, als würde er selbst das riesige Segel nach oben ziehen und sich mit aller Kraft an das Seil mit dem schweren Segeltuch hängen, die Sonne in den Augen, deren Licht ihn vom Fluss blendete. Langsam gewann die »Maude Idris« wieder einen Vorsprung und vergrößerte den Abstand.
    Keiner der Männer in der Polizeibarkasse sprach ein Wort. Die Ruderer bewegten sich in einem gleichmäßigen Rhythmus, mit aufmerksamen Mienen, und keuchten. Orme, der neben Monk saß, wandte den Blick nicht von dem Schiff vor ihnen ab.
Die Segel blähten sich jetzt voll im Wind, das Kielwasser schäumte weiß, als das Schiff Richtung Limehouse Reach davonzog, die Isle of Dogs zu seiner Linken. Monk schaute zu Orme hinüber und sah das Entsetzen und den Kummer in dessen Miene, Meerwasser mischte sich mit Tränen.
    An der Biegung des Flusses war Durban gezwungen, schwerfällig zu wenden. Einen Augenblick lang verlor er die Kontrolle, und sie schlossen wieder auf. Monk tat es weh, dem zuzusehen. Sie waren höchstens noch zwanzig Meter entfernt. Sie sahen, wie Durban sich verzweifelt abmühte, die großen Segel zu kontrollieren und zu verhindern, dass das Schiff anluvte und durch den Wind ging.
    Orme stand auf und beugte sich nach vorne, seine Miene war eine einzige Maske aus Leidenschaft und Verzweiflung. Monk merkte nicht einmal, dass er schrie.
    Aber Durban nahm keine Notiz von ihnen. Er schaffte die Wende, und es gelang ihm, das Schiff wieder aufzurichten. Sämtliche Segel füllten sich erneut, und die »Maude Idris« setzte sich von ihnen ab und segelte an Greenwich vorbei. Die Sonne stand tief, ein Feuerball am Horizont hinter ihnen. Vor ihnen lagen nur das glühende Abendrot und die Dunkelheit über den Bugsby Marshes im Süden.
    Durban erschien wieder an Deck, er hob sich schwarz gegen die goldenen Segel ab. Er hob beide Arme als Signal, eine Geste des Sieges und des Abschieds, dann verschwand er in der Vorluk.
    Monk klammerte sich am Dollbord des Bootes fest, seine Hände waren wie Eis, er zitterte am ganzen Körper, taub vor Kälte. Er konnte kaum atmen. Sekunden verstrichen, eine Minute  – die wie eine Ewigkeit schien –, dann eine weitere. Die »Maude Idris« wurde immer schneller.
    Dann geschah es. Zuerst war es nur ein dumpfes Dröhnen. Monk erkannte nicht einmal, was es war, bis er die Funken und die Flammen sah. Das zweite Krachen war viel lauter, als das Schiffsmagazin explodierte und die Flammen nach oben
schlugen, die Decks verschlangen und auf die Segel übersprangen. Bald war die »Maude Idris« eine Feuersäule in der hereinbrechenden Nacht, ein Inferno, ein Brandopfer aus loderndem Holz und Segeltuch, das auf die verlassenen, morastigen Ufer zutrieb und Durban, Louvain, die Flusspiraten und die Leichen der Matrosen verschlang.
    Hell loderte der Wikinger-Scheiterhaufen zum Begräbnis des Pestschiffes. Irgendwann schlingerte das Schiff ins Flachwasser und lief auf Grund, die weiße Hitze war verschwunden, das rote Licht erstarb, das Wasser lief hinein.
    Monk stand, frierend und erschöpft, im Boot neben Orme, und doch brannte sein Geist bis ins Innerste vor Schmerz und Stolz. Tränen liefen ihm übers Gesicht, und seine Hände waren so taub, dass er gar nicht spürte, wie Orme in einem Augenblick gemeinsamer Trauer nach seiner Hand griff. Er merkte auch kaum, dass einer der anderen Männer schließlich seinen Mantel auszog und ihm um die Schultern
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