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Schwarze Themse

Schwarze Themse

Titel: Schwarze Themse
Autoren: Anne Perry
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    Â»Der Mord interessiert mich nicht«, sagte Louvain schroff und beugte sich ein wenig über den Tisch. Sie standen in dem großen Büro, dessen Fenster auf den Pool of London blickten mit seinem Wald aus Masten, die vor dem zerrissenen Herbsthimmel auf dem Wasser schaukelten. Da lagen Klipper und Schoner aller seefahrenden Nationen der Welt, Barkassen, die den Fluss hinauf- und hinunterfuhren, ein Vergnügungsdampfer schob sich vorbei, Schlepper, Fähren und Tender waren bei der Arbeit. »Ich muss das Elfenbein wiederhaben!«, stieß Louvain hervor. »Ich habe keine Zeit, auf die Polizei zu warten.«
    Monk blickte ihn erstaunt an und versuchte, eine Erwiderung zu formulieren. Er brauchte diesen Auftrag, sonst wäre er nicht in das Büro der Louvain’schen Reederei gekommen, bereit, eine Aufgabe zu übernehmen, die abseits seines üblichen Betätigungsfelds lag. In der Stadt war er ein hervorragender Ermittler, das hatte er sowohl bei der Polizei als auch später als Privatdetektiv wiederholt unter Beweis gestellt. Er kannte die herrschaftlichen Wohnhäuser der Wohlhabenden und die schäbigen Seitenstraßen der Armen. Er kannte die kleinen Diebe und Spitzel, die Händler von Diebesgut, die Bordellbetreiber, die Fälscher und viele von denen, die sich anheuern ließen. Aber der Fluss, die »längste Straße Londons«, mit seinem veränderlichen Wasserstand, den ständigen Schiffsbewegungen und den Männern, die viele fremde Sprachen sprachen, war unbekanntes Terrain für ihn. Die Frage, die ihm, beharrlich wie ein Pulsschlag, im Kopf herumspukte, war: Warum hatte Clement Louvain nach ihm geschickt und nicht nach jemandem, der mit den Docks und dem Wasser vertraut
war? Die Wasserpolizei war älter als Peels Stadtpolizei, sie war 1798 gegründet worden, vor fast einem Dreivierteljahrhundert. Durchaus möglich, dass die Männer zu beschäftigt waren, um Louvains Elfenbein die Aufmerksamkeit zu widmen, die er sich wünschte, aber war das wirklich der Grund gewesen, warum er nach Monk geschickt hatte?
    Louvain stand auf der anderen Seite des großen polierten Mahagonitischs, blickte ihn abschätzend an und wartete.
    Â»Der Mord hängt mit dem Diebstahl zusammen«, erwiderte Monk. »Wenn wir wüssten, wer Hodge umgebracht hat, wüssten wir auch, wer das Elfenbein gestohlen hat, und wenn wir wüssten, wann das geschah, wären wir der Lösung der Frage ein gutes Stück näher.«
    Louvains Gesichtszüge verhärteten sich. Er war ein von Wind und Wetter gegerbter Mann Anfang vierzig mit schmalen Hüften, doch seine Muskeln waren ebenso hart wie die der Matrosen, die er anheuerte, damit sie seine Schiffe an die Küste Ostafrikas brachten, um mit Elfenbein, Bauholz, Gewürzen und Fellen zurückzukommen. Sein hellbraunes Haar war dick und aus der Stirn zurückgekämmt, sein Gesicht breit.
    Â»Auf dem Fluss bei Nacht spielt die Uhrzeit keine Rolle«, sagte er knapp. »Die ganze Zeit sind überall leichte Kavalleristen, schwere Kavalleristen und nächtliche Plünderer unterwegs. Niemand wird etwas über irgendjemanden sagen, erst recht nicht zur Wasserpolizei. Darum brauche ich meinen eigenen Mann, jemanden mit Ihren Fähigkeiten.« Sein Blick streifte Monk, und er betrachtete den Mann, der in dem Ruf stand, ebenso unbarmherzig zu sein wie er selbst, ein paar Zentimeter größer, mit hohen Wangenknochen und einem schmalen Gesicht. »Ich muss dieses Elfenbein wiederhaben«, wiederholte Louvain. »Ich habe bereits einen Käufer dafür, der darauf wartet, und ich habe Außenstände. Suchen Sie nicht nach dem Mörder, um den Dieb zu finden. Das funktioniert vielleicht an Land. Auf dem Fluss finden Sie den Dieb, und das wird Sie zu dem Mörder führen.«

    Monk hätte den Fall liebend gerne abgelehnt. Es wäre leicht gewesen, allein sein geringes Wissen wäre Grund genug. Es fiel ihm tatsächlich immer schwerer einzusehen, warum Louvain nach ihm geschickt hatte und nicht nach einem der vielen Männer, die sich zumindest auf dem Fluss und den Docks auskannten. Es gab immer jemanden, der für entsprechendes Honorar eine private Ermittlung übernahm.
    Aber Monk konnte es sich nicht leisten, Louvain darauf hinzuweisen. Er musste der bitteren Tatsache ins Auge sehen, dass er auf Louvains Auftrag angewiesen war und – gegen seine Überzeugung –
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