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Schwarze Stunde

Schwarze Stunde

Titel: Schwarze Stunde
Autoren: Christine Feher
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ihr.
    »Was ist mit Valerie?«, fragt er im Flüsterton. »Lebt sie noch? Bitte, sagen Sie mir, ob sie noch lebt!«
    Der Polizist prüft ihn mit einem langen Blick.
    »Als der Rettungswagen kam, war sie nicht ansprechbar, atmete aber noch schwach«, erklärt er. »Sie wurde auf dem schnellsten Weg in ein Krankenhaus gebracht. Mehr kann ich nicht sagen. Sie bleiben bitte alle hier«, betont er, als Manuel auf die Tür zusteuern will. »Im Moment können Sie dem Mädchen nicht helfen, außerdem brauchen wir Sie für unsere Ermittlungen.«
    Manuel setzt sich wieder, flucht leise. Durch den Saal geht ein Raunen, Fiona und Yuki werfen einander Blicke zu, starren dann auf die Tischplatte. Einige Mädchen brechen in Tränen aus, die Jungen rutschen auf ihren Stühlen herum.
    »Beginnen wir gleich mit dem Wichtigsten«, sagt der jüngere der Polizisten, er kann kaum älter sein als die beiden Lehrer. »Der Jogger, der sie fand, berichtete, das Mädchen habe ganz kurz die Augen geöffnet und etwas gesagt. Allerdings war es schwer zu verstehen und gleich darauf verlor sie erneut das Bewusstsein. Aber vielleicht können Sie uns sagen, was dieses Wort zu bedeuten hat.«
    Herr Schwarze springt auf, stützt sich an der Tischplatte ab, neigt sich nach vorn.
    »Was?«, keucht er. »Was hat sie gesagt?«
    Der Polizist räuspert sich. Im Saal wird es so still, dass jeder seiner Atemzüge zu hören ist. Jeden Einzelnen blickt er an, die Schüler kommen sich vor, als wäre eine Kamera mit Superzoom auf sie gerichtet und würde jede ihrer Regungen registrieren. Manuels Zorn, Alenas Fassungslosigkeit, Yukis leeren Ausdruck in den Augen, Fionas Kopfschütteln, Olegs Kauen auf der Unterlippe, Frau Bollmanns in Falten gelegte Stirn, Schwarzes Blässe.
    Der Polizist räuspert sich erneut.
    »Es war ein Name«, sagt er …

1.

    Z urück nach Hause, ich will noch nicht. Abgesehen vom Konzert habe ich fast nichts von England gesehen, aber leider reicht mein Geld nicht für mehr, außerdem ist dies das letzte Wochenende in den Sommerferien. Es war schon schwierig genug, meine Eltern zu bearbeiten, dass sie mich fliegen lassen, noch dazu allein. Aber zum Open-Air-Konzert von Black Hour wollte sonst niemand, und so schwer ist es schließlich nicht, mit siebzehn Jahren einen Flug zu buchen und sich übers Internet schon im Voraus ein Bett in einer Jugendherberge zu sichern. Der Weg zum Konzert war dann nur noch ein Kinderspiel.
    In London ist es auch am Tag nach dem Konzert noch heiß. Auf dem Weg zum Flughafen Heathrow habe ich das Gefühl, der Asphalt gibt nach unter meinen Füßen, wellt sich unter der Sonnenglut, reflektiert in der Mittagshitze; trotz der leichten Sandalen glühen meine Füße. Seit zehn Tagen steht ein Azorenhoch über ganz Europa, ein Sommer, den man ausnutzen muss, unbedingt. Ich möchte noch bleiben, in einem Straßencafé etwas Kaltes trinken, auf eigene Faust die Stadt erkunden, flippige Mode kaufen, ausgefallenen Schmuck und Schuhe, die man zu Hause nicht an jeder Straßenecke sieht. Später vielleicht weiterreisen, die englische Südküste entlang bis nach Cornwall, wo ein beinahe mediterranes Klima herrschen soll. Selbst Palmen gedeihen dort und bieten einen Kontrast zu den jahrhundertealten Herrensitzen, die immer wieder als Schauplätze tiefgründiger Kriminalfilme mit zwielichtigen Charakteren dienen. Einsame Strände finden, im Atlantik baden, der trotz der Augusthitze nicht mehr als sechzehn oder siebzehn Grad haben wird; alles, was abkühlt, tut gut. Abends Fisch essen in einem der kleinen Dörfer, die sich in die Steilküste schmiegen, ein erfrischendes Bier in einem Pub trinken, meine Sprachkenntnisse anwenden und vertiefen, alles ausprobieren, es würde mir nichts ausmachen, allein zu sein. Im Gästezimmer einer grauhaarigen Landlady übernachten, auf durchgelegener Matratze und mit einer Steckdose für den Föhn, für den ich erst noch einen Adapter kaufen müsste.
    Ganz in Gedanken summe ich meinen Lieblingssong von Black Hour vor mich hin, ich bin noch gar nicht richtig wieder bei mir, bin noch erfüllt von dieser Super-Band. Seit gestern Abend fühle ich eine noch tiefere Verbindung zu ihrer Musik als vorher; jede Textzeile, jeder Ton schien genau das auszudrücken, was ich selbst gerade fühlte und was eigentlich schon seit Jahren in mir brennt. Diese Sehnsucht nach Freiheit, nach Unabhängigkeit, aber auch nach einer tiefen Liebe, die das andere trotzdem nicht ausschließt. Diese Liebe muss es doch
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