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Schwarze Stunde

Schwarze Stunde

Titel: Schwarze Stunde
Autoren: Christine Feher
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fühle mich, als könnte ich auf einem Sonnenstrahl reiten, greife mir unwillkürlich an den Hals, um nicht vor Glück zu schreien, schaue schnell wieder weg, halte meine Bordkarte für den Einstieg bereit, reihe mich in die Schlange zur Gangway ein. Ich glaube, er ist schon älter, zehn Jahre vielleicht oder sogar etwas mehr, trotzdem scheint er ähnliche Musik zu mögen wie ich. Ich bin ihm auch sympathisch, aber es geht nicht, es ist noch zu früh für neues Herzklopfen. Dabei pocht es schon wie ein Specht vor dem Nestbau im März.
    Reihe 16, Platz A am Fenster. Bei diesem Wetter kann man die Welt von oben sehen, das liebe ich so am Fliegen, verfolge schon jetzt das Treiben auf dem Rollfeld. Als ich kleiner war, habe ich auf Flugreisen mit meinen Eltern immer die Swimmingpools in den Gärten unter mir gezählt, bis die Spielzeuglandschaft von den Wolken verschluckt wurde; heute lasse ich meist einfach meine Gedanken treiben. Zwischen den beiden Tagen in England und zu Hause liegt immer noch der Flug. Manuel dreht ziemlich am Rad. Ich will nicht an ihn denken. Sorgfältig schiebe ich meine Reisetasche in die Gepäckklappe und setze mich auf meinen Fensterplatz.
    »Hallo, Black-Hour -Freundin«, tönt plötzlich eine fröhliche, klare Stimme über mir. Ich muss nicht aufschauen, um zu begreifen, zu wem sie gehört; natürlich tue ich es doch. Die Gitarre hat der Mann nicht mehr bei sich, natürlich hat er sie als Gepäckstück aufgeben müssen, er schiebt nur eine Umhängetasche aus abgeschabtem braunem Leder unter den Sitz neben meinem, dann setzt er sich hin. Neben mich. Ich glaube es nicht, er hat wirklich den Platz neben mir! Erst jetzt bemerke ich, dass sein T-Shirt den gleichen Aufdruck hat wie meines, der unauffällige, aber typische Schriftzug von Black Hour in Weiß auf schwarzem Jersey, die Tourdaten in Rot auf dem Rücken. Also war er auch beim Konzert. Vorhin muss seine Gitarre das Logo verdeckt haben oder es ist mir einfach nicht aufgefallen. Auf meinem Shirt hat er natürlich den Rückenaufdruck erkannt, vielleicht lange, bevor ich ihn überhaupt bemerkt habe.
    »Das konnte ich mir nicht entgehen lassen«, antworte ich. »War sagenhaft, oder?«
    Er nickt und fährt sich mit der Hand durch sein immer noch leicht zerzaust wirkendes Haar. Erst jetzt sehe ich, dass es sich am Ansatz schon ein klein wenig zu lichten beginnt, ganz leicht, man sieht es nur, wenn man ganz genau hinblickt, mir fällt es eher auf an der Art, wie er es zu verbergen versucht. Wie liebenswert; er müsste das nicht machen, er sieht ohnehin gut aus, und es ist wirklich nur minimal.
    »Die Stimmung im Park, die Musik, das Wetter – alles war so perfekt«, schwärmt auch er und atmet tief durch im Genuss der Erinnerung. »Bist du ein Fan von Black Hour oder machst du auch selber Musik und wolltest die Einflüsse auf dich wirken lassen?«
    »Das Wort Fan passt nicht zu mir«, gestehe ich etwas verlegen. Ich will nicht, dass er mich für einen Teenie hält, der sich in der ersten Reihe direkt vor der Bühne die Stimmbänder kaputt kreischt und die Wände im Kinderzimmer mit Posters tapeziert hat. »Ich liebe die Musik und die Texte. Manchmal habe ich das Gefühl, sie hätten beim Songschreiben direkt in meine Seele geschaut.«
    »Das denkst du auch?« Eben hat er noch gelächelt, nun sieht er mich mit geweiteten Augen an, scheint mich erst jetzt richtig wahrzunehmen. Anders als vorher. Ernster. Aufmerksam.
    »Ja.« Ich nicke. Warum ist mein Mund nur so trocken? »Sag bloß, du auch.«
    Er öffnet seinen Mund, als wolle er etwas hinzufügen, lässt es jedoch, schüttelt ganz leicht den Kopf, als müsse er einen Gedanken verscheuchen.
    Jetzt erkenne ich, dass seine Zähne doch nicht ganz makellos sind, der zweite linke Schneidezahn steht ein klein wenig schräg nach vorn, kein Zahnpastawerbungslächeln, nicht ganz perfekt. Unverwechselbar und dadurch noch attraktiver. Du hast keine Chance bei ihm, beschwöre ich mich im Stillen; sicher steht er auf Frauen in seinem Alter statt auf Mädchen, die nicht mal volljährig sind.
    Er räuspert sich.
    »Aber jetzt sag«, greift er den Faden erneut auf, seine Stimme klingt rau, bestimmt hat er genau so großen Durst wie ich. »Du spielst doch bestimmt auch ein Instrument. Oder lass mich raten: Du singst. Oder du schreibst Texte. Wenn du so genau zuhörst, dich mit den Texten deiner Lieblingsband beschäftigst, steckt bestimmt auch in dir etwas Kreatives.«
    Ich schüttele den Kopf und winke ab.
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