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Schwarze Stunde

Schwarze Stunde

Titel: Schwarze Stunde
Autoren: Christine Feher
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»Ich schreibe nur ab und zu ein paar Gedichte – man kann sie nicht mal so nennen. Es sind mehr Gedankenfetzen; alles Mögliche, was mir gerade so durch den Kopf geht. Also wirklich nichts Besonderes. Und manchmal singe ich; aber nur, wenn ich genau weiß, dass mir niemand zuhört. Auch nicht so toll, glaube ich. Aber ich liebe es einfach, ich drücke gern meine Stimmung in Musik aus.«
    »Sag nie, dass es nicht gut ist, was du machst.« Er taucht seine Augen in meine. »Wenn die Worte aus deinem Inneren kommen, sind sie etwas Wertvolles. Und ich sage dir auch, dass du singen kannst, ohne dich je gehört zu haben.«
    »Wie kannst du so sicher sein?«
    »Du hast eine überaus angenehme Sprechstimme«, meint er. »Wer beim Reden gut klingt, tut es auch beim Singen. Das sind Dinge, die man nicht lernen kann, man hat sie oder man hat sie nicht. Natürlich kannst du deine Stimme noch ausbilden lassen, aber die Grundbegabung ist sicher da.«
    Ich mache eine abwehrende Handbewegung, heftiger, als ich beabsichtigt habe, er ist so dicht neben mir, ganz nah, er macht mich nervös, in mir kribbelt alles, noch nie habe ich so etwas gefühlt, schon gar nicht neben einem Fremden.
    »Aber du, mit deiner Gitarre vorhin«, werfe ich ein, um von mir abzulenken. »War der letzte Song von dir?«
    Er lacht leise. »Ganz schön schmalzig, oder?«
    »Überhaupt nicht!«, beeile ich mich zu versichern, verschlucke mich an meinem eigenen Speichel oder huste wegen der trockenen Luft, lehne mich zurück und versuche, meinen Atem wieder mit mir selbst in Einklang zu bringen. Er bückt sich nach seiner Tasche und fischt eine Tüte Eukalyptusbonbons heraus, reicht mir einen.
    »Der ist auch gut gegen den Druck auf den Ohren«, meint er. »Es geht gleich los.«
    Ich wickele das Bonbon aus und schiebe es mir in den Mund. »Ich fand deinen Song nicht schmalzig«, versichere ich erneut, »Diesen Vers, wo jemand einen anderen berührt hat, ohne ihn … oder sie …«
    »Anzufassen.« Wieder ruhen seine Augen auf meinem Gesicht, von seinem Lachen sind unter seinen Augen vereinzelte erste Linien stehen geblieben, noch ganz fein und kaum wahrnehmbar, vorhin in der Abfertigungshalle habe ich sie noch nicht bemerkt.
    »Genau. Das hat mich angesprochen, genauso empfinde ich auch.«
    »Tatsächlich?« Er lässt seine Augen über mein Gesicht wandern, als ob er es behutsam abtastet, wirkt beinahe andächtig, als hätte er eine Kostbarkeit entdeckt, die er nun sorgfältig und liebevoll untersucht. So hat mich noch nie jemand angesehen, aber ich kann auch nicht aufhören, ihn anzusehen, kann mich nicht dagegen wehren. »Wir scheinen so einiges gemeinsam zu haben.«
    »Total verrückt.« Aus meiner Kehle kommt nur ein Flüstern, ich will noch etwas hinzufügen, atme ein, fühle, wie sich mein Puls beschleunigt. So was passiert nur ganz, ganz selten, fährt es mir durch den Kopf; hier ist er also, so fangen Beziehungen an, die das ganze Leben verändern.
    »Verrätst du mir, wie du heißt?«, fragt er, die Stimme einfühlsam, interessiert, nicht forschend oder bohrend, vielleicht ahnt er, was in mir vorgeht.
    »Valerie«, sage ich und streife ihn mit einem flüchtigen Lächeln, ehe ich meinen Blick auf die Stewardess richte, die am Ende des Ganges mit sicherem Lächeln und geübten Bewegungen die Sicherheitsvorkehrungen der Maschine erklärt, während diese bereits langsam auf die Startbahn zurollt.
    »Valerie«, wiederholt er und beginnt den gleichnamigen Song von Amy Winehouse zu singen, die Leute tun das immer, wenn ich mich vorstelle, aber bei ihm klingt es nicht albern, er will mich damit nicht aufziehen. Mit den flachen Händen schlägt er einen Beat dazu auf seine Oberschenkel, ist schon wieder versunken in der Musik, ich singe leise mit, dann lachen wir beide und er lässt seine Hände wieder sinken.
    »Ein schöner Name«, bekundet er schließlich. »Ich bin Corvin.« Unwillkürlich löse ich meine Augen von der Stewardess und wende ihm mein Gesicht zu. Corvin. Den Namen habe ich noch nie gehört, aber er passt zu ihm, zu seinen warmen Augen, dem offenen Blick, zu seinem breiten, fröhlichen Lächeln. Als er sich anschnallt, fallen mir seine Hände auf, typische Gitarristenfinger, mit kurzen, sauber gefeilten Nägeln an der linken Hand und etwas längeren, aber ebenso gepflegten an der rechten, um optimal greifen und zupfen zu können. Bestimmt sind seine Hände immer warm.
    Das Flugzeug hat die Startbahn erreicht und bleibt stehen, die Turbinen werden
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