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Schwarze Stunde

Schwarze Stunde

Titel: Schwarze Stunde
Autoren: Christine Feher
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hätte ich alles Mögliche angestellt. Trotzdem weiche ich aus, erzähle Corvin nichts davon.
    »Dieser Trip zu Black Hour war schon Wahnsinn genug, weil ich den halben Sommer dafür gejobbt habe. Flug, Konzertkarte, Unterkunft … und dann ist es so schnell vorbeigegangen. Meine Eltern haben mich für verrückt erklärt.«
    »Andere Mädchen hätten sich für das Geld Klamotten gekauft oder die Kohle ins Studium gesteckt. Aber du hast was erlebt. Ob du nun eine coole Jeans mehr oder weniger im Schrank liegen hast, spielt für dich doch sicher nicht halb so eine große Rolle.«
    »Genau«, antworte ich und blicke verstohlen an mir herunter in der Hoffnung, dass ich ihm nicht zu einfallslos angezogen bin in meiner verblichenen Caprijeans, die ich zu dem Top vom Konzert trage.
    »Das geht mir ganz genauso«, lacht er. »Du hast was gefühlt, Eindrücke mitgenommen, Erinnerungen gespeichert, die dir keiner mehr nehmen kann. Egal was passiert. Das ist es, was zählt.«
    »Das hab ich mir auch gedacht. Ich bereue keine Sekunde.« Besonders diese hier nicht, füge ich in Gedanken hinzu; allein schon Corvin getroffen zu haben, war die ganze Mühe wert. Das Flugzeug ruckelt etwas, ich muss ihn ablenken, weiterreden.
    »Erzähl mir mehr von dir«, fahre ich fort. »Hast du schon mal eine CD aufgenommen?«
    »Nur so für mich, zu Hause«, antwortet er. Löst seine Hände, die sich schon wieder verkrampft hatten, beugt und streckt seine Finger. »Willst du was hören?« Er zieht einen MP3-Player aus seiner Hosentasche, stöpselt ein Paar Ohrhörer ein und reicht mir einen davon, ganz leicht berühren sich unsere Fingerspitzen dabei. Seine Hand ist warm, keiner von uns zuckt übereilt zurück, vielleicht nimmt auch er es wahr, das Besondere, diesen speziellen Zauber, der in unserer Begegnung liegt. Corvin beugt sich vor und lächelt ganz leicht, streicht mit dem kleinen Finger eine meiner Haarsträhnen zurück, um den Sitz des Ohrhörers zu überprüfen. Ich spüre seinen Atem auf meiner Wange, er riecht angenehm nach dem Eukalyptusbonbon, jetzt drückt er auf die Abspieltaste. Gleich darauf habe ich seine Stimme mitten in meinem Kopf, wie ein zärtliches Flüstern singt er zu mir, ohne Umwege dringen seine Worte und sein sanftes, sensibles Gitarrenspiel bis in mein Innerstes vor. Corvin blickt zur Seite, als ob es ihm peinlich ist, als fürchte er, bereits in meinem Gesichtsausdruck zu lesen, ob mir seine Musik gefällt. Aber da muss er sich keine Sorgen machen. Ich versuche auf den Text zu achten, der von Erinnerungen erzählt, von Sehnsucht, von Verletzlichkeit. Während ich weiter zuhöre, betrachte ich Corvin aus dem Augenwinkel, die schmalen, fast durchsichtigen Nasenflügel, die gut geformten Lippen, ich kann nicht anders, als mir diesen Mund beim Küssen vorzustellen, und schiebe den Gedanken doch wieder weit fort von mir. Nicht verlieben, sage ich mir, schon gar nicht so schnell, es wäre zu gefährlich, mich gleich wieder in dieses Gefühl fallen zu lassen, mich in einem Mann zu verlieren.
    Rede noch mal mit Manuel, hat Alena geschrieben. Ich glaube, er braucht das. Vielleicht bin ich es ihm wirklich schuldig.
    Unter gesenkten Wimpern wandern meine Augen weiter über Corvins Körper, während ich seiner Musik lausche. Er ist vielleicht einen knappen halben Kopf größer als ich und schlank, seine Knie in den ausgeblichenen Jeans stehen knochig hervor und die Oberarme unter dem Black Hour -Shirt wirken stark und sehnig, aber nicht zu muskulös. Mein Blick bleibt auf den Härchen auf seinen Unterarmen hängen, den bläulich schimmernden Adern, unwillkürlich stelle ich mir vor, darüber zu streichen.
    Der nächste Song beginnt, erneut singt er von einer unerfüllten Liebe, ist es der Song, den Corvin vorhin auf dem Flughafen gesungen hat? Ich ertappe mich dabei, wie ich ihn mir mit einer Frau an seiner Seite vorstelle, irgendwo am Meer, die Arme um ihre Taille gelegt. Spüre Eifersucht in mir hochsteigen, vollkommen idiotisch, erst jetzt entdecke ich ein ausgeblichenes geflochtenes Lederband an seinem Handgelenk, vielleicht hat es ihm eine Frau geschenkt, eine, die er einmal sehr geliebt hat und nach der er in jedem seiner Lieder ruft, auch noch nach Jahren. Immerhin ist er allein nach England gereist und hat auch im Zusammenhang mit seinem geplanten USA -Trip von niemandem erzählt.
    Hör auf, ermahne ich mich selbst, nachdem auch dieser Song verklungen ist, es geht dich nichts an, du kennst diesen Typen nicht mal,
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