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Schwarze Stunde

Schwarze Stunde

Titel: Schwarze Stunde
Autoren: Christine Feher
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geben! Es kann nicht sein, dass immer nur eines von beidem möglich ist. Immer wieder haben die Songs von Black Hour davon erzählt, und da stand ich an diesem unglaublich lauen Sommerabend auf dem Open-Air-Konzertgelände und konnte es kaum glauben, dass diese vier Jungs aus Norwegen genau das in ihre Mikrofone hauchen und schreien und ihren Gitarren entlocken, was in mir vorgeht. Es war, als hätten sie nur für mich gespielt. Mein Innerstes in Rockmusik verwandelt. Wir verstehen dich, Valerie; halte durch, uns geht es genauso, wir träumen denselben Traum wie du, eines Tages wirst du finden, was du suchst.
    Die U-Bahn hält am Flughafen und scheint die Reisenden auszukippen, mein Top klebt mir am Rücken, auf dem Bahnsteig steht die Luft genauso wie in der Bahn. Ich schwimme mit dem Strom in die Abfertigungshalle, suche an der Anzeigetafel nach der Flugnummer, finde den richtigen Schalter und stelle mich ans Ende der Warteschlange. Es hat keinen Sinn, weiter von England zu träumen, von einem längeren Urlaub hier, nächstes Jahr vielleicht, mit achtzehn, wenn ich selber Auto fahren kann. Jetzt muss ich nach Hause, in drei Tagen beginnt die Schule wieder; in diesem Jahr lagen unsere Sommerferien früh, wie so oft in Berlin. Im seitlichen Reißverschlussfach meiner Reisetasche finde ich mein Ticket und halte es bereit. Es dauert noch, bis ich an der Reihe bin, aber ich fühle mich sicherer, wenn ich schon vorher alles zur Hand habe.
    Zurück nach Hause, back to school. Zur Schule, wo auch Manuel ist, mit dem ich zu Beginn der Ferien Schluss gemacht habe. Die Aussicht, ihn wiederzusehen, liegt mir schon jetzt wie ein unverdauter Fleischklops im Magen. Vor allem auf das Spießrutenlaufen bei den anderen habe ich keine Lust. Niemand hat verstanden, warum ich nicht mehr mit Manuel zusammen sein wollte, es nicht mehr konnte, in der Schule haben wir als Traumpaar gegolten. Aber ich hatte schon lange gewusst, dass es nicht mehr reichte. Ich wollte mich nicht mehr fremdbestimmen lassen, schon gar nicht von einem Jungen. Manuels ständiges besitzergreifendes Verhalten hatte für mich so wenig mit Liebe zu tun; einmal mehr hatte ich gespürt, dass es ihm überhaupt nicht um mich als Person ging, nicht um meine Bedürfnisse, sondern nur um ihn. Ich hatte ihm zur Verfügung zu stehen, egal, wie ich selber gerade drauf war, etwas anderes ließ er nicht gelten. Er bestimmte, was wir gemeinsam unternahmen, wen wir trafen, wohin wir gingen, ob wir bei mir übernachteten oder bei ihm oder ob jeder zu sich nach Hause ging.
    Unser letzter gemeinsamer Nachmittag hatte mir dies noch einmal bestätigt.
    Ich habe damals ab und zu auf einen kleinen Jungen aufgepasst, den zweijährigen Willy. Den Job hatte ich über einen Zettel am Schwarzen Brett im Supermarkt gefunden. Bisher war immer alles gut gegangen, ich mochte den Kleinen wirklich gern und auch mit seiner Mutter habe ich mich immer super verstanden. Aber an diesem einen verflixten Tag war Willy mit seinem Bobbycar an einer unebenen Stelle im gepflasterten Hof umgekippt und aufs Gesicht gefallen. Seine Lippe war aufgeplatzt und hatte geblutet, an Stirn und Wangen hatte er Schürfwunden erlitten, und eine dicke Beule an der Stirn war schneller zu einem ausgeprägten Horn angewachsen, als ich ihn auf den Arm nehmen und in die Wohnung tragen konnte. Willys Schreie hallten durchs ganze Treppenhaus, und obwohl ich die Blutungen schnell stillen und den Kleinen trösten konnte, machte ich mir Vorwürfe. Immerhin war das nur passiert, weil ich einen Moment lang nicht auf Willy geachtet, sondern eine SMS von Manuel beantwortet hatte. Als Willys Mutter von der Arbeit kam und ihn sah, warf sie mich sofort raus. Auf der Straße fing ich an zu heulen, weil ich mich so über mich selbst ärgerte, und hatte mich noch nicht ganz wieder beruhigt, als ich bei Manuel ankam.
    Er sah meine Tränen und fragte, was los sei, doch als ich anfing, ihm alles zu erzählen, hörte er mir nicht zu, sondern fing gleich an, mir die Spaghettiträger von den Schultern zu streifen und mich zu küssen, Schultern, Hals, Brustansatz, er packte mich mit beiden Händen an den Hüften und drückte mich auf sein Bett.
    »Laber mich nicht von diesem Zwerg voll, der ist völlig unwichtig«, hatte er gemurmelt und sich bereits am Reißverschluss meiner Jeans zu schaffen gemacht. Sein rechtes Knie auf meinem Oberschenkel hinderte mich daran, aufstehen zu können, sein linker Ellbogen bohrte sich schmerzhaft in meine Taille.
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