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Schwarze Stunde

Schwarze Stunde

Titel: Schwarze Stunde
Autoren: Christine Feher
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und reiche sie ihm.
    »Danke« sagt er. Noch einmal dieses Lächeln sehen, das mich an die Sonne erinnert, wenn sie sich nach langen, trüben Stunden plötzlich hinter einer Wolke hervorschiebt, um den ganzen restlichen Tag zu erhellen und zu wärmen. Gleich ist es vorbei, ich will nicht sehen, ob ihn jemand abholt. Als ich mir meine Tasche um die Schulter hängen will, fällt mein Lippenpflegestift heraus und mit ihm der Kugelschreiber, auch das Handy rutscht zurück auf den Sitz, ich habe vergessen, eines der kleinen Seitenfächer zu schließen. Corvin streckt seinen Arm aus und will mir helfen, wird jedoch weitergeschoben, andere Passagiere drängen von hinten, keiner will länger im Flugzeug bleiben als unbedingt nötig, jetzt am Boden wird es im Inneren schnell stickig. Dicht an dicht schieben sich die Menschen durch den Mittelgang, ungeduldig, verhalten stöhnend, keiner bleibt stehen um mich durchzulassen, der Abstand zwischen Corvin und mir vergrößert sich rasch, so war das nicht gedacht, ich will mich doch von ihm verabschieden. Vielleicht sehe ich ihn an der Gepäckausgabe noch, er muss seine Gitarre abholen, und wenn er länger durch England gereist ist, wird er auch einen Koffer dabei haben. Ich mit meiner kleinen Reisetasche kann gleich zum Ausgang des Gates gehen. Vielleicht sehe ich ihn trotzdem noch.
    Von hinten werde ich weiter durch den Gang geschoben, beinahe rutscht mir die Reisetasche von der Schulter, ich klemme sie unter den Arm. Am Ausgang wünschen mir die Stewardessen einen angenehmen Aufenthalt in Berlin und schenken mir das gleiche geschminkte Lächeln wie während des gesamten Aufenthaltes an Bord, aber ich beachte sie kaum noch, antworte nur mechanisch, blicke bereits die Gangway hinunter, um Corvin vielleicht noch zu entdecken, möglicherweise wartet er irgendwo auf mich, sobald er aus dem Gedränge heraus ist. An der Gepäckausgabe muss er bestimmt länger warten, dennoch beeile ich mich, in die Halle mit den Förderbändern zu gelangen. Schon bin ich verunsichert. Keinem Typen hinterherlaufen. Die lose Einladung ins Unterholz kann alles bedeuten, ein unverfänglicher, gegenseitig zu nichts verpflichtender Satz, ähnlich wie ein dahin gesagtes »Ich ruf dich an« nach einer gemeinsamen Nacht, die am Morgen danach mindestens einem von beiden peinlich ist. Nicht nach ihm Ausschau halten, nicht suchen, nicht nachlaufen. Nicht verlieben.
    An der Gepäckausgabe warten bereits die Passagiere am Förderband, es steht jedoch noch still. Natürlich wandern meine Augen doch durch den Raum, natürlich schaue ich, ob Corvin noch da ist, ich kann gar nicht anders. Er steht dicht neben der schwarzen Öffnung, die gleich beginnen wird, ein Gepäckstück nach dem anderen auszuspucken, plaudert aber gerade mit einem Mann. Beide lachen und der andere klopft Corvin auf die Schulter, vielleicht hat er einen Bekannten getroffen, von dem er vorher nicht gemerkt hat, dass der ebenfalls im Flieger nach Berlin sitzt. So kann ich nicht zu ihm hingehen, vielleicht will er das jetzt nicht, ich möchte ihn nicht der Situation aussetzen, mich vorstellen zu müssen, ihn nicht in Verlegenheit bringen. Was sollen wir auch reden, wenn er nicht mehr allein ist? Unterholz heißt sein Lieblingsclub. Ich glaube, dieses Wochenende gehe ich noch nicht hin; ich will nicht, dass er mich für aufdringlich hält.
    An der Sperre drehe ich mich noch einmal um. Corvin wendet seinen Kopf in meine Richtung, sekundenlang verharren wir beide unbeweglich, die Blicke ineinander verschränkt. Dann hebt er seine Hand zum Gruß, lächelt und zwinkert mir zu. Es ist alles in Ordnung, er hat mich noch nicht vergessen. Ich winke zurück und gehe.

4.

    Z u Hause angekommen, lasse ich gleich hinter der Wohnungstür meine Reisetasche fallen. Es ist komisch, wieder hier zu sein. Obwohl der Flug keine zwei Stunden gedauert hat, kommt es mir vor, als wäre ich einen ganzen Tag lang unterwegs gewesen, spüre noch immer die Bewegungen des Flugzeugs im Sinkflug und das Stimmengewirr der anderen Passagiere, spüre Corvins Nähe, als wäre er noch neben mir, höre seine Stimme, sein Lachen, fühle die Wärme seines Körpers an meiner Seite. Trage seine Musik noch in mir, bin noch halb beim Konzert, auf einmal erscheint es so unwirklich, dass es noch keine vierundzwanzig Stunden her ist, alles ist mir noch so nah, ist noch nicht aus mir gewichen und erscheint doch schon weit weg. Um mich herum ist meine alte Umgebung, in der ich mich erst wieder
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