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Schwarze Stunde

Schwarze Stunde

Titel: Schwarze Stunde
Autoren: Christine Feher
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zurechtfinden muss, obwohl ich jede Einzelheit kenne, jeden Handgriff automatisch verrichte, als wäre ich eins mit unserer Wohnung, jedes Möbelstück ein Teil von mir, in dem ich blind nach allem greifen kann, was ich brauche.
    Ich lausche in die Zimmer, aber kein Geräusch, keine Stimme dringen zu mir. Erst jetzt atme ich durch, es ist gut, dass meine Eltern noch bei der Arbeit sind, so kann ich mich sammeln, meine Gedanken und Gefühle ordnen, ankommen. Ich bin froh, nicht gleich reden zu müssen, erst muss ich einen Weg finden, wie ich die Begegnung mit Corvin schützen, wie ich sie vor neugierigen Fragen bewahren kann, auf die ich keine Antwort weiß. Ich will ihn noch für mich behalten, ihn nicht preisgeben, uns beide nicht den Warnungen aussetzen, die bestimmt kommen würden, wenn ich von ihm erzählte, von einem Mann, den ich auf dem Flug von London nach Berlin zum ersten Mal getroffen habe und der gute zehn Jahre älter sein mag als ich. Niemand würde verstehen, was zwischen uns war, ich muss es hüten wie einen Schatz, mindestens bis zu dem Tag, an dem wir uns wiedersehen und ich weiß, ob es ein wir überhaupt für uns gibt.
    Die Hitze hat mir das Top an den Körper geklebt. Ein Blick in den Garderobenspiegel ernüchtert mich und lässt mich zweifeln, ob ich Corvin überhaupt gefallen habe. Meine dunklen Haare hängen strähnig um mein Gesicht, die Haut sieht fahl und teigig aus und der feine Kajalstrich, den ich morgens im Waschsaal der Jugendherberge noch aufgetragen habe, ist zur doppelten Breite verlaufen. Kein Wunder, bei dieser Hitze zerfließt man bei lebendigem Leib, dennoch hoffe ich, dass ich vor drei Stunden zumindest etwas frischer gewirkt habe. Aber eigentlich glaube ich nicht, dass Corvin jemand ist, der nur nach einem makellosen Äußeren geht.
    Meine Katze Sissy kommt aus der Küche geschlichen und streicht mir schnurrend um die Beine.
    »Wenigstens dir gefalle ich immer«, begrüße ich sie, greife behutsam unter ihren weichen Bauch und nehme sie auf den Arm. »Egal ob ich frisch gestylt aus dem Bad komme oder nach Schweiß muffle. Und du bist ja auch jeden Tag gleich schön.« Ich streichle Sissy eine Weile, fahre mit den Händen ihre Fellzeichnung nach, Sissy ist fast weiß, nur über Kopf und Rücken zieht sich ein breiter, grau getigerter Streifen. Es tut gut, ihr glattes, weiches Fell zu spüren, zärtlich sein zu können, dabei kann ich noch ein wenig weiterträumen, meine Gedanken zurück zu Corvin schweifen lassen. Mit Sissy auf dem Arm gehe ich in der Wohnung auf und ab wie mit einem Baby, das in den Schlaf gewiegt werden muss, das hilft mir beim Ankommen. Zwei Tage lang hat der Sommer meines Lebens gedauert; London, Black Hour, Corvin. Jetzt muss ich wieder aufwachen, der Traum ist vorbei.
    Sissy fängt an zu zappeln und drückt ihre Krallen in meine Arme, behutsam setze ich sie wieder auf den Boden. Ich muss duschen, obwohl ich diesen Tag eigentlich noch nicht abwaschen möchte, vor allem Corvin nicht. Ein paarmal hat sein Arm wie zufällig meinen gestreift und auch ich habe ihn ja berührt, ich stelle mir vor, dass irgendwas von ihm noch auf meiner Haut geblieben ist, Hautschüppchen, Spuren der feinen Härchen auf seinen Unterarmen, heutzutage würde die Polizei so etwas feststellen können, wenn sie danach suchen müsste.
    Einige Sekunden lang bleibe ich unschlüssig stehen und blicke zum Fenster hinaus. Ein winziges Flugzeug zieht weit oben über den beinahe unnatürlich blauen Himmel. Schon wird weitergeflogen, wir waren nicht die einzigen, die Welt dreht sich weiter, auch wenn sie für mich heute stehen geblieben ist.
    Hier in der Wohnung ist es kühler als draußen, der Schweiß zwischen meinen Schulterblättern verdunstet und lässt mich frösteln. Also doch duschen; ich gehe ins Bad und reiße meine Sachen vom Leib, auch das Black Hour -Top; noch einmal drücke ich es an mich, ehe ich es im Schmutzwäschebehälter versenke und unter die Dusche steige. Das heiße Wasser verursacht eine Gänsehaut, die sich über meinen ganzen Körper zieht; erst allmählich weiche ich auf und genieße die prickelnden Strahlen auf mir. Corvin, denke ich erneut und lächele vor mich hin, schreibe mit dem Zeigefinger seinen Namen auf die beschlagene gläserne Duschwand. Drehe das Wasser noch etwas wärmer, wiederhole in Gedanken alles, was er gesagt hat, versuche mir die Melodie seines Songs ins Gedächtnis zurückzurufen, den er beim Check-in gesungen hat, aber nur den Text weiß ich
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