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Schwarze Seide, roter Samt

Titel: Schwarze Seide, roter Samt
Autoren: Ann Carlott Fontana
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Und deutsches Essen kriegt man da auch.« Das vor allem
war wichtig. Herr Rönsch haßte es, in seinem Urlaub in irgendwelchen
ausländischen Speisen herumstochern zu müssen, die er
nicht kannte und die ihm nicht schmeckten. Schweinebraten,
Klöße und Sauerkraut, da wußte man wenigstens, was man hatte.
    Im ersten Moment dachte Marion: O Gott, Urlaub mit meinen
Eltern! Dann überlegte sie und kam zu dem Schluß, Torremolinos
mit Eltern sei besser als gar kein Torremolinos. Vielleicht
würde es ihr ja trotzdem gelingen, ein paar unbeobachtete Schritte
zu tun. Denn sie hatte sich für diese Ferien einiges vorgenommen:
Zum einen würde sie endlich die sexuellen Erfahrungen
machen, von denen sie bislang nur in Büchern gelesen hatte.
Obwohl ihr schon viele Jungs hinterhergelaufen waren, hatte sie
noch mit keinem geschlafen. Sie wollte sich dafür einen »Mann
von Welt« suchen – einen, der älter war als sie, der Erfahrung
hatte, der die Welt kannte und genug Geld besaß, sich ihre
schönsten Seiten zu kaufen. Unter den schönsten Seiten stellte
sich Marion all die Dinge vor, von denen sie gehört hatte, mit
denen sie aber kaum in Berührung gekommen war: Champagner,
Segelboote, tolle Parties, klotziger Schmuck, interessante Leute,
die sich im wesentlichen auf Flughäfen, in eleganten Hotels und
sündhaft teuren Restaurants bewegten. Die nicht einen Monat
lang sparen mußten, um sich eine neue Diskoklamotte kaufen zu
können.
    Sie hütete sich, gegenüber ihren Eltern von ihren Träumen zu
sprechen, aber wenn die davon redeten, daß ihre Tochter ja nun
im Herbst mit ihrer Sekretärinnenausbildung beginnen würde,
dachte sie bei sich: Glaubt ihr nur, was ihr wollt. Wahrscheinlich
komme ich gar nicht mehr mit euch nach Hause zurück. Adieu,
grauer Himmel, Regenwetter und Alltagstrott! Adieu,
kleinbürgerliche Enge! Das Mittelmeer, azurblau und warm,
wartet auf mich!
    Sie las James A. Micheners »Kinder von Torremolinos«. Ein
dicker Wälzer, aber sie arbeitete sich von der ersten bis zur letzten
Zeile durch. »Britta, Norwegerin aus Tromsø, flieht aus der
finsteren Traumwelt der Polarnächte sonnenhungrig in die Freiheit
des ungebundenen Lebens in Torremolinos.« Diese Sprache
verstand Marion. Das waren ihre Empfindungen. Sonne, Freiheit,
ungebundenes Leben… Durch das Fenster ihres kleinen Zimmers
– irgendwie immer noch ein richtiges Kinderzimmer, fand
sie naserümpfend – blickte ein verregneter Tag herein. Sommer
in Hamburg; manchmal konnte man verrückt werden darüber.
»Der Tag war von strahlender Helle«, hieß es bei Michener, »der
Himmel blau, kleine Schäferwölkchen zogen vom Meer herein,
und die Hänge im Norden lagen unter einem zarten Wärmeschleier…
es war wie eine Reise in eine andere Welt: sonnenüberflutete
Golfplätze, kleine Restaurants mit offenen Terrassen,
immer neue Blicke auf das saphirblaue Mittelmeer, und dann,
völlig unerwartet, eine Gruppe von Wolkenkratzern, wo die
eigentliche Stadt begann.« Und an einer anderen Stelle stand zu
lesen: »Zum Wochenende kommen viele spanische Geschäftsleute
aus Madrid nach Torremolinos, und sie alle hoffen, eine Geliebte
zu finden. Sie sind sehr großzügig zu ihren Freundinnen…
Wohnungen… Taschengeld…« Daß der Roman auch von Enttäuschungen
sprach, von unerfüllten Träumen, vom Gefühl der
Frauen, ausgebeutet zu werden und in Wahrheit so allein zu sein
wie nie zuvor in ihrem Leben – das überlas Marion. Sie registrierte,
was sie registrieren wollte. Und sie baute entschieden auf ihre
körperlichen Reize. Sie war zu jung und zu hübsch, um Niederlagen
ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Sie war überzeugt davon,
daß sie den reichen Mann finden würde, der sie liebte, bewunderte
und großzügig beschenkte. Dann konnte sie in jeder Saison
nach Paris fliegen und sich dort neu einkleiden. Sie konnte monatelang auf einer Luxusyacht durch alle Weltmeere kreuzen, und
mit vierzig würde sie zum besten Schönheitschirurgen der Welt
gehen und sich das Gesicht liften lassen, damit ihr Mann nicht
auf die Idee kam, sie mit einer Jüngeren zu betrügen. »Und wie
gefällt es Ihnen?« Die Stimme der Verkäuferin riß Marion aus
ihren Gedanken. »Es…«, sie schaute in den Spiegel und hielt den
Atem an. »Es ist… fremd…«
    Ein spitzenverzierter Strumpfgürtel schlang sich um ihre Taille.
Wie zwei schwarze, schnurgerade Linien lagen die Strumpfbänder
auf ihren Hüften, führten an den
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