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Schwarze Adler, weiße Adler

Schwarze Adler, weiße Adler

Titel: Schwarze Adler, weiße Adler
Autoren: Thomas Urban
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spielte die Abwehr – zum Entsetzen der Zuschauer führten die Polen nach fünf Minuten bereits 2:0. Torschützen waren der für seine Nervenstärke bekannte Andrzej Szarmach und der antrittsschnelle Włodzimierz Smolarek, der ebenfalls wenige Jahre später in der Bundesliga spielte. Zwar erkämpfte sich die DDR den Ausgleich und drängte die Polen in der zweiten Halbzeit in die Defensive. Doch ein Konter Smolareks sorgte für den 3:2-Endstand.
    Polen war somit qualifiziert, der DDR blieb das WM-Ticket hingegen erneut verwehrt. Das DDR-Fernsehen beendete unmittelbar nach dem Schlusspfiff die Übertragung, um nicht den Jubel der polnischen Spieler und Fans zu zeigen, die ihre mitgebrachten weiß-roten Fahnen schwenkten.
    Der polnische Trainer Antoni Piechniczek berichtete später von politischen Reibereien hinter den Kulissen: „Wir fürchteten, dass die Deutschen uns irgendetwas ins Essen tun könnten, und nahmen deshalb unseren eigenen Koch mit. Die DDR-Regierung schickte in der Angelegenheit eine Protestnote an unser Außenministerium, in der sie sich über das polnische Misstrauen beklagte.“ 14
    Zwei Monate nach diesem Spiel, am 13. Dezember 1981, verhängte der polnische Partei-, Regierungs- und Armeechef, General Wojciech Jaruzelski, das Kriegsrecht über das Land. Jaruzelski wollte mit dem Kriegsrecht die Demokratiebewegung um die Gewerkschaft Solidarnozerschlagen. Rund 13.000 Oppositionelle kamen in Haft. Der SB verübte mehrere Dutzend politische Morde. Es war eine Zeit der krassen Behördenwillkür und der großen materiellen Not, die vier Millionen Hilfspakete aus der Bundesrepublik kaum lindern konnten.
    Provokation vor der Eckfahne
    Die polnische Nationalmannschaft um Spielmacher Zbigniew Boniek konnte wegen der Reisebeschränkungen unter dem Kriegsrecht keine Länderspiele zur Vorbereitung auf die WM austragen. Also fuhr die Mannschaft ohne Spielpraxis nach Spanien. Dennoch schaffte sie es ohne Niederlage in die Zwischenrunde, wo sie ausgerechnet gegen die Sowjetunion um den Einzug ins Halbfinale spielen musste.
    Jeder Spieler wusste, was die Partie für ihre Landsleute bedeutete: ein „Spiel gegen die Besatzer“, wie es eine Untergrundzeitschrift formulierte. Denn im Lande stand eine halbe Million Sowjetsoldaten, auf die sich der Kriegsrechtsgeneral Jaruzelski stützte. Doch auch die Vertreter des Regimes hofften, die Weiß-Roten würden die sowjetische Auswahl aus dem Turnier werfen. Jaruzelski würde die Mannschaft beglückwünschen, dies würde dazu beitragen, ihn vom Odium des „Kremlknechtes“ zu befreien. Aus der PZPN-Zentrale ging ein Telegramm

    Włodzimierz Smolarek überlief in Leipzig immer wieder die DDR-Abwehr.
    an die Mannschaft ein, mit der dreifachen Aufforderung: „Ihr müsst es schaffen!“ 15
    Den Polen genügte ein Unentschieden. Beide Mannschaften spielten hart und nervös. Immer wieder trieb der sowjetische Stürmer Oleg Blochin seine Mannen nach vorn, doch die polnische Abwehr um den kopfballstarken Stefan Majewski war nicht zu knacken. In der Schlussphase ersann Smolarek eine neue Methode, auf Zeit zu spielen, und brachte die sowjetischen Spieler damit zur Weißglut: Er dribbelte mit dem Rücken zum Spielfeld vor den Eckfahnen der gegnerischen Hälfte. Wenn ihm ein Verteidiger den Ball vom Fuß spitzelte, gab es Ecke oder Einwurf für Polen.
    Die Partie endete 0:0 – die UdSSR war ausgeschieden. Das in ganz Polen als Sieg gefeierte Unentschieden gab auch der Solidarnoim Untergrund Auftrieb, denn auf der Tribüne in Barcelona waren riesige Spruchbänder mit dem berühmten roten Logo der von Jaruzelski verbotenen Demokratiebewegung ausgerollt worden – und auch im polnischen Fernsehen zu sehen. Das Spiel gilt noch heute vielen Polen als ein Kapitel im gewaltlosen Untergrundkampf gegen die sowjetischen Besatzer.
    Polen verlor zwar das Halbfinale gegen den späteren Weltmeister Italien, gewann aber das „kleine Finale“ gegen Frankreich und erreichte somit zum zweiten Mal nach 1974 den dritten Platz bei einer WM. Als die Mannschaft zurückkehrte, warteten Zehntausende auf dem Warschauer Flughafen.
    Für die Opposition im Untergrund war die WM 1982 ein doppelter politischer Erfolg: Der Eliminierung der UdSSR durch Polen waren die Siege über die DDR vorausgegangen. Dass sich die DDR-Führung für ein besonders hartes Vorgehen
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