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Schwarze Adler, weiße Adler

Schwarze Adler, weiße Adler

Titel: Schwarze Adler, weiße Adler
Autoren: Thomas Urban
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die in der Bundesrepublik leben, ein Beispiel. Es ist dies ein neues Phänomen in der bundesdeutschen Gesellschaft, denn bislang haben Einwanderer und Übersiedler aus Polen soziologischen Studien zufolge überwiegend versucht, wegen der in Deutschland immer noch sehr lebendigen Vorurteile ihr Herkunftsland möglichst wenig herauszustellen.
    Der ebenfalls auf der Umschlagseite dieses Buches abgebildete Ernst Willimowski, der vor dem Krieg für Polen und im Krieg für die Deutschen auf Torejagd ging, hat sich dagegen nur überaus vorsichtig zu seiner Haltung zu beiden Nationen geäußert, denn beide nahmen sich damals gegenseitig vor allem als Erbfeinde wahr. Die Distanz und das gegenseitige Misstrauen zwischen dem im Ersten Weltkrieg geschlagenen Deutschen Reich und dem wiederentstandenen polnischen Staat ging während der Weimarer Republik so weit, dass es keine Fußballländerspiele gab. Angesichts der Schrecken des Zweiten Weltkrieges ist es ein Paradox in der Geschichte, dass sich erst nach 1933 beide Gesellschaften, zumindest die politischen Eliten, vorübergehend annäherten. Dies wirkte sich auch auf den Fußball aus: Es gab fünf Länderspiele, bei denen auch politische Prominenz auf der Tribüne saß, um die gute Nachbarschaft zu unterstreichen.
    Im Falle Willimowskis, der zwischen beiden Nationen stand, ist nur eines sicher: Trotz des Hakenkreuzes auf dem Trikot versuchte er, Distanz zu den Nationalsozialisten zu halten – im Gegensatz etwa zu den Spitzenspielern des fälschlicherweise als „Polackenclubs“ bezeichneten FC Schalke 04, die sich gern für die Parteipropaganda einspannen ließen. Dass das Jahrhunderttalent Willimowski nahezu völlig in Vergessenheit geriet, ist zweifellos auch eine Folge der Verdrängung dieses düsteren Kapitels des deutschen Fußballs in der jungen Bundesrepublik.
    Denn auch im Sport hat der Zweite Weltkrieg eine Schneise der Zerstörung hinterlassen. In drei Kapiteln wird in diesem Buch erstmals versucht, die unmittelbaren Auswirkungen des Krieges auf die Lebensläufe deutscher und polnischer Fußballer zu schildern. Polen war das einzige Land, in dem der organisierte Fußball verboten war. Die deutschen Besatzer fürchteten, dass Massenansammlungen zu patriotischen Manifestationen werden könnten. Die Polen spielten trotzdem und missachteten somit die Gefahr, bei Razzien der SS verhaftet und zur Zwangsarbeit oder in Konzentrationslager deportiert zu werden. Mehrere Dutzend Spieler der obersten Liga Polens wurden Opfer des NS-Terrors, darunter zehn Nationalspieler, die bei Massenexekutionen, in KZ oder Judenghettos zu Tode kamen.
    Dass die deutsch-polnische Nachbarschaft auch im Fußball besonders schwierig und vielschichtig ist, belegt ein Blick auf die Torschützen der ersten WM-Tore auf beiden Seiten: Das erste deutsche WM-Tor schoss 1934 der polnischstämmige Düsseldorfer Stanislaus Kobierski, der im Krieg vorübergehend für einen Besatzerclub in Warschau spielte. Das erste polnische WM-Tor erzielte 1938 der Posener Friedrich Scherfke, ein Angehöriger der deutschen Minderheit, der später als Wehrmachtssoldat mehrere seiner polnischen Clubkameraden aus deutscher Gefangenschaft retten konnte. Während der Parteiherrschaft durfte die Geschichte Scherfkes nicht erzählt werden, denn ein „guter Deutscher“, der sich als Brückenbauer verstand, durfte nicht sein. Auch Willimowskis Leistungen für den polnischen Fußball waren tabu, er galt als Verräter, der die Seiten gewechselt hat. Doch haben seit der politischen Wende von 1989 polnische Sporthistoriker die Lebensläufe beider in objektiver Weise dargestellt.
    In Polen halten Schul- und Fernsehprogramme sowie eine kaum überschaubare Menge von Büchern und Zeitungsartikeln die Erinnerung an das Heldentum und das Leid vergangener Zeiten lebendig. Deshalb werden von vielen Kommentatoren auch deutsch-polnische Fußballduelle in diese Reihe historischer Konfrontationen gestellt. Die Begegnungen beider Mannschaften bei der WM 2006 und EM 2008 wurden von der Warschauer Boulevardpresse zu Kämpfen um die Ehre der Nation hochgeschrieben. So haben folgerichtig polnische Karikaturisten auf das Bild des größten militärischen Sieges der Polen über Deutsche zurückgegriffen: die Schlacht von Tannenberg/Grunwald zwischen der polnischen Krone und dem Deutschen Orden im Jahr 1410, der der
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