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Schwanengesang – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)

Schwanengesang – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)

Titel: Schwanengesang – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
Autoren: Edmund Crispin
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Bezirk Headington. Das mit grünem Teppichboden ausgelegte Foyer erstrahlt in gedämpfter Opulenz. Überall sind Büsten der großen Opernkomponisten aufgestellt – Wagner, Verdi, Mozart, Gluck, Mussorgskij. Es gibt auch eine von Brahms – aus unerfindlichem Grund, allerdings mag sie ein Tribut an seinen eigenwilligen und glücklicherweise aufgegebenen Plan zu einer Oper über Goldgräber am Yukon sein. Der Zuschauerraum ist vergleichsweise klein, aber die Bühne und der Orchestergraben sind groß genug für die größten aller Opern. Die Bühnentechnik steckt voller komplizierter und fehleranfälliger Details, und die Requisitenkammern quellen über vor mechanischer Fauna. Auch sind die Garderoben großzügiger als gewöhnlich; zu den beiden Etagen, über die sie verteilt liegen, geht sogar ein kleiner Fahrstuhl hinauf.
    Für solche Annehmlichkeiten hatten Adam und Joan im Moment jedoch keine Zeit. Sie erreichten den Bühneneingang, von wo aus ihnen ein älterer Hausmeister den Weg zu den Proberäumen wies.
    Die meisten anderen waren schon da und hatten sich um den Flügel herum gruppiert. Abgesehen von diesem und einigen aus Chromrohren gebogenen Stühlen war das Zimmer fast leer. Sein einziges Zugeständnis an zusätzliche Dekoration bestand in einem schief hängenden Porträt Puccinis, der auf dem Foto eindeutig aussah wie der Betreiber einer Eisbude aus der Zeit König Eduards.
    Adam wurde Peacock vorgestellt, der sich als ein stiller, konventionell gekleideter, großer dünner Mann um die dreißig entpuppte, dem die roten Haare vorzeitig ausgingen. Adam mochte ihn auf Anhieb. Unter den Anwesenden befanden sich Karl Wolzogen, ein drahtiger kleiner Deutscher, der für seine siebzig Jahre ungewöhnlich lebhaft war; am Flügel Caithness, ein mürrischer und wortkarger Schotte; Edwin Shorthouse, der noch den Gin vom vorigen Abend ausdünstete; und John Barfield, der Kothner. Der Rest des Ensembles war von den Ereignissen, die zwei Wochen später folgen sollten, nicht unmittelbar betroffen und muss deswegen an dieser Stelle nicht ausführlicher beschrieben werden. Adam kannte die meisten von ihnen, da es in England nur eine begrenzte Anzahl von Opernsängern gibt, deren Wege sich immer wieder kreuzen. Die Probe verlief so erfolgreich, wie derlei Proben nur verlaufen können, und zur allgemeinen Freude stellte sich heraus, dass Peacock sein Geschäft verstand. Edwin Shorthouse nahm seine Anweisungen mit solcher Unterwürfigkeit entgegen, dass Adam misstrauisch wurde. Für die Dauer der gesamten Klavierprobe blieb er angespannt. Die fromme Duldsamkeit, die Shorthouse an den Tag legte, kam bei Sängern sehr selten vor – bei Shorthouse wirkte sie, dachte Adam bei sich, ausgesprochen unnatürlich. Deswegen überraschte ihn die Kampagne der Widrigkeiten kaum, die mit Beginn der Orchesterproben einsetzte.
    Trotzdem verlief zu Anfang alles reibungslos, und bis zum Tag, als der Mord geschah, gab es nur einen erwähnenswerten Zwischenfall. An dem waren Shorthouse, Joan Davis und ein junges Mädchen namens Judith Haynes beteiligt.
    Es passierte an einem Montagabend. Während des Nachmittags hatten sie die letzte Szene des dritten Aktes zügig durchlaufen und gegen sechs Uhr die Probe beendet. Anschließend war Joan Davis allein mit Peacock im Probenraum zurückgeblieben, um einzelne Unklarheiten ihrer Partie zu besprechen. Ohne dass die beiden etwas davon ahnten, befanden sich außer ihnen noch zwei weitere Personen im Theater: Shorthouse, der in seiner Garderobe saß und sich betrank (obwohl er, wie immer, wunderbar gesungen hatte, war er während des Nachmittags keineswegs nüchtern gewesen), und Judith Haynes, eine Chorsängerin, die geblieben war, um ihr schlecht sitzendes Kostüm zu ändern.
    Peacock ging um sieben, und Joan lief nach oben in ihre Garderobe, um Mantel und Schal zu holen. Als sie an der Garderobe für Chormitglieder vorbeikam, sah sie, wie ein sturzbetrunkener Shorthouse gerade versuchte, einer sich unbeholfen zur Wehr setzenden Judith Haynes die Kleider vom Leib zu reißen. Joan – eine keineswegs zimperliche oder ängstliche Frau – griff schnell und beherzt ein. Während er stürzte, prallte Shorthouse mit dem Kopf gegen den Türrahmen, was erheblich zu seiner Beruhigung beitrug. Tatsächlich lag er vollkommen reglos da.
    »Soviel dazu«, sagte Joan, als sie mit weiblichem Stolz auf seine auf dem Boden hingestreckte Gestalt niederblickte. Sie wandte sich dem Mädchen zu, das mit hochrotem Kopf
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