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Schwanengesang – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)

Schwanengesang – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)

Titel: Schwanengesang – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
Autoren: Edmund Crispin
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Peacock«, sagte Mr. Shorthouse über die Rampe hinweg, und das ohne jede Spur von Unterwerfung. »Es ist nur, dass ich ein dermaßen ausgeprägtes Accelerando an dieser Stelle nicht gewohnt bin, und ich habe das Gefühl, dass Sachs dadurch an Würde verliert.«
    George Peacock spielte nervös mit seinem Taktstock herum und wirkte abgekämpft. Und das zu Recht, fand Adam; Proben zu den Meistersingern mit Edwin Shorthouse im Ensemble hatten schon viel ältere und erfahrenere Dirigenten zur Verzweiflung getrieben. Es war wirklich zu schade – Peacock war ein talentierter junger Mann, und diese Inszenierung würde für seine Karriere sicherlich Ausschlag gebend sein. Doch nachdem Edwin Shorthouse nun vier Wochen lang an ihm herumgenörgelt hatte, war Peacock drauf uns dran, die gesamte Inszenierung in den Sand zu setzen. Außerdem – Adam warf einen Blick auf die Uhr – rannte ihnen die Zeit davon; an diesem Nachmittag mussten sie es bis zum Ende des dritten Aktes schaffen.
    »Warum, in Gottes Namen«, flüsterte er Joan Davis zu, »kann Edwin nicht einmal für zehn Minuten die Klappe halten?«
    Joan nickte zustimmend. »Das war nicht besonders elegant formuliert«, gab sie zurück, »aber ich bin ganz deiner Meinung. Der junge Mann tut mir aufrichtig leid. Es ist wirklich zu schade, dass Edwin so eine Stimme hat.«
    »Ohne die hätte ihn niemand freiwillig länger ertragen als fünf Minuten«, sagte Adam. »Manchmal denke ich, dass ihm irgendjemand noch mal ein Messer in den Bauch rammen wird.«
    »… Falls Sie also nichts dagegen haben«, sagte Peacock soeben vom Dirigentenpult herunter, »werden wir alles so beibehalten, wie es war. Ich bin der Überzeugung, dass diese Stelle nach mehr Ausdruck verlangt.«
    »Selbstverständlich«, sagte Shorthouse. »Selbstverständlich. Ich werde mir Mühe geben, Ihrem Takt zu folgen. Wenn Sie mir bitte bei ›Lenzes Gebot‹ ein deutlicheres Zeichen geben könnten …«
    »Esel«, kommentierte Joan aufgebracht zischelnd aus der Kulisse heraus. »Nichtsnutziger Esel. Die Taktgebung des armen Kerls ist völlig eindeutig.«
    »Wenn es noch mehrere solcher Verzögerungen gibt«, bemerkte Adam düster, »werden wir es heute nie bis zum dritten Akt schaffen. Nicht, dass es mir besonders leid täte«, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu. »Ich habe heute Morgen im Badezimmer versucht, ein hohes ›A‹ zu singen, doch heraus kam bloß eine Art Pfeifton.«
    Die Musik setzte wieder ein. Adam hatte sie schon hunderte Male zuvor gehört, aber wieder umfing sie ihn wie ein warmer Zauber. Sie kamen an die strittige Stelle. Shorthouse begann, im Takt hinterherzuhinken.
    »Jetzt werden wir sehen«, sagte Joan.
    Peacock klopfte mit dem Taktstock auf sein Pult, und das Orchester verstummte. »Ich fürchte, wir sind Ihnen vorausgeeilt, Mr. Shorthouse«, sagte er spitz.
    »Ach du meine Güte«, stöhnte Adam. »Kein Sarkasmus. Bloß kein Sarkasmus, du Narr.«
    Es trat ein, was er befürchtet hatte. Für einen Augenblick herrschte Totenstille, und dann: »Wenn meine Bemühungen Ihr Missfallen erregen, Mr. Peacock«, sagte Shorthouse, »so wäre ich Ihnen dankbar, könnten Sie mich geradeheraus darüber informieren, und nicht durch irgendwelche billigen Spötteleien.«
    Wieder trat Stille ein. Peacock lief dunkelrot an. Dann: »Ich denke, wir lassen diese Passage für einen Moment beiseite«, meinte er leise, »und fahren fort. Wir machen bei der vierten Szene weiter – Evas Auftritt. Sind Sie soweit, Miss Davis?«, rief er.
    »Gewiss«, rief Joan zurück. »Selbst, wenn ich den Flirt mit Edwin nur spielen soll«, sagte sie zu Adam, »läuft es mir kalt den Rücken herunter.«
    »Mach dir nichts draus. Vielleicht hat er auch an dir was auszusetzen. Dann kannst du ihm ordentlich Bescheid sagen.«
    »Das wäre schön«, sagte Joan verträumt. »Aber da mache ich mir keine Hoffnungen. Er hackt stets nur auf den Jungen und Unerfahrenen herum, die sich nicht wehren können … Los geht’s!«
    »Ta-ta!«, machte Adam. »Wir sehen uns unter der Linde, und komm allein!« Er gab sich wieder seinen Gedanken hin.
    Und die Lage war wirklich beunruhigend. Zweifellos zermürbte Peacock langsam aber sicher der zunehmende Druck, der durch ständige Einwände, Unterbrechungen und überflüssige Rückfragen über Tempo, Dynamik und all die anderen Kleinigkeiten auf ihn ausgeübt wurde, die alle schon während der Klavierproben hätten geklärt werden sollen – und die in Wirklichkeit längst geklärt waren.
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