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Memo von Meena (German Edition)

Memo von Meena (German Edition)

Titel: Memo von Meena (German Edition)
Autoren: Nancy Salchow
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Kapitel 1: Die Worte vor dem Piep
     
     
    Oliver zog die Seiten erneut aus der dünnen Folie, las den Absatz zum mittlerweile dritten Mal und erwiderte stumm den erwartungsvollen Blick der Frau im gegenüberliegenden Ledersessel.
    Ein gewaltiger Mahagonischreibtisch trennte die beiden voneinander, auch wenn ihm der Inhalt auf den Seiten wesentlich gewaltiger erschien. Ghostwriter.
    "Und Sie sind sich sicher, dass Sie das ernst meinen?", fragte er.
    "Absolut sicher, Herr Staude." Sie lächelte. "Genauso wie ich von der Tatsache überzeugt bin, dass Sie der richtige Mann für diesen Job sind. Ihre Proben haben nicht nur mich, sondern das gesamte Redaktionsteam begeistert. Wir alle sind uns einig, dass als Nachfolger für Meena Teske nur Sie in Frage kommen."
    "Aber, ich bin …", er überlegte kurz, "ein Mann."
    "Sicher sind Sie das". Sie warf lachend den Kopf in den Nacken. "Aber das muss außer uns doch niemand erfahren, oder?"
    "Und wenn Sie meinen Vorschlag über eine Kolumne aus Sicht des typischen Mannes noch einmal überdenken? Die Idee, Ihren Leserinnen jede Woche eine Anekdote aus dem Leben eines Durchschnittsmannes zu präsentieren, bietet meiner Meinung nach eine Menge Potenzial."
    "Ihre Begeisterungsfähigkeit imponiert mir, Herr Staude. Und ich möchte Ihrem Vorschlag keinesfalls den Glanz nehmen. Aber zunächst müssen wir die Lücke füllen, die Meena hinterlassen hat. Und zwar möglichst so, dass niemand merkt, dass es eine Lücke gibt." Sie räusperte sich. "Im Laufe der Jahre ist in den Köpfen unserer Leserinnen ein ganz bestimmtes Bild von Meena entstanden. Die Single-Frau, die ihren Alltag auch ohne Mann meistert, anderen Alleinstehenden Mut macht und auch ohne Kind und Kegel einen Sinn in ihrem Leben findet. Sie verstehen, dass es sich da nicht gut machen würde, wenn plötzlich ihre Schwangerschaft an die Öffentlichkeit käme."
    Er nickte, denn eine passende Antwort fiel ihm nicht ein. In der gläsernen Tür des Wandschranks hinter ihrem Schreibtisch erhaschte er einen kurzen Blick auf sein eigenes Spiegelbild. Wieder keimte der Ärger über die Entscheidung auf, direkt vor dem Vorstellungsgespräch den Friseur aufzusuchen. Wieso hatte er sich nur dazu überreden lassen, sich das Haar derart kurz schneiden zu lassen? Das Dunkelblond wirkte durch die Kürze nun eher braun und das morgendliche Abrasieren seines Dreitagebartes, ebenfalls eine Spontanentscheidung, ließ ihn zusätzlich jünger wirken. Aber wollte er überhaupt jung aussehen? Wäre es nicht eher von Vorteil gewesen, älter zu erscheinen? Älter und erfahrener?
    "Ihr Vertrag würde über ein Jahr laufen", fuhr sie fort. "Aber ganz sicher werden wir auch danach ein Plätzchen in unseren Reihen für Sie finden. Wenn Sie sich erst einmal etabliert haben, versteht sich."
    In unseren Reihen. Für einen Moment fegten diese drei kleinen Worte alle Skrupel beiseite. Noch vor wenigen Wochen hätte er nicht zu träumen gewagt, ein Vorstellungsgespräch bei einem Magazin wie dem Ariella’s Choice zu bekommen und nun war er sogar die erste Wahl. Die erste Wahl des gesamten Teams. Und die erste Wahl der Chefredakteurin Raja Markert, die ihn auf seltsame Weise an Meryl Streep erinnerte.
    Nach all den Enttäuschungen der letzten Jahre, in denen er sein mühsam gepflegtes Talent in Provinzblättern vergeudet hatte, war dies die erste wirkliche Chance. Und sie wollten ihn . Seine Arbeit war es, die sie überzeugte.
    "Ich verstehe einfach nicht, wie das funktionieren soll", antwortete er, als er seine Gedanken halbwegs sortiert hatte. "So gerne ich auch schreibe und mich in die Menschen hineinversetze, die Gefühlswelt einer Frau ist mir dann doch schon allein aus biologischen Aspekten nicht so vertraut wie die eigene."
    "Also, da sehe ich wirklich überhaupt kein Problem." Sie zog die oberste Schublade ihres Schreibtisches auf und holte einen gepolsterten Umschlag heraus. "Meena arbeitet grundsätzlich Monate im Voraus und speichert all ihre Ideen und Gedanken auf einem Diktiergerät. Erst in den letzten Tagen vor Redaktionsschluss sucht sie sich dann die entsprechenden Häppchen zusammen und entscheidet sich für ein Thema."
    Sie schob den Umschlag über den Tisch. "Das Einzige, das Sie tun müssen, ist, besagte Häppchen zu einem großen Ganzen zusammenzufügen. Ganz im Stil von Meena. Und glauben Sie mir, diese Aufnahmen bieten Potenzial für tausend Kolumnen."
    Er griff nach dem Umschlag und zog ein unscheinbares Diktiergerät heraus.
    Das
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