Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten
Autoren: Verena Roßbacher
Vom Netzwerk:
die Stadt, die er kannte.
    Das Visite-ma-tante war proppenvoll, das war keine Neuigkeit. Kleine Cafés sind, sobald sie voll sind, immer proppenvoll, es war ein sehr kleines Café. Wenn sehr kleine Cafés proppenvoll sind, denken alle, es müsse ein besonders gutes kleines Café sein und die Sache wird zum Selbstläufer.
    Sydow dachte, während die Brille langsam wieder aufklarte, an andere Selbstläufer, aber so auf die Schnelle fiel ihm gar keiner ein.
    Er dachte, bis die Brille vollständig wieder aufgeklart war, proppenvoll ist ein absolut ekelhaftes Wort. Er dachte an andere, weniger ekelhafte Worte, aber nicht mal so was fiel ihm ein. Er dachte solchen und anderen überflüssigen Quatsch und ließ es bleiben. Es war nur eine Überbrückung gewesen, bis die Brille wieder aufgeklart war, er hätte es genauso gut sein lassen können.

9. Frauen

    Hör mal, sagte Stanjic, wegen den Astronauten –
    Kommt schon noch, warte mal, Sydow schob den leeren Teller weg und richtete sichs ein, ausführlicher zu werden.
     
    Es war warm und roch gut nach Kaffee und Hefezopf. Er knöpfte sich den Mantel auf und wickelte diesen Schal vom Hals, wickelte diesen Schal vom Hals wickelte diesen – es nervte kolossal, dieser elendslange Schal, er nervte einfach, der Schal war, ungewickelt und entrollt, unverschämt lang, sicher an die zweieinhalb Meter, eher mehr, und kolossal, auch kolossal war ein bescheuertes Wort, heute fielen ihm nur grauslige Wörter ein, proppenvoll, kolossal, kolossal sagte kein Mensch.
    Er stopfte den Schal in den linken Mantelärmel, natürlich passte gar nicht alles rein, natürlich nicht, sagte er vor sich hin, wie sollen drei Meter Schal in 80 cm Ärmel passen. Dieser Schal, er pulte den Schal wieder aus dem Ärmel und knüllte ihn so gut es ging zusammen, aber es ging nicht gut, er knüllte ihn also nicht zusammen. Er klemmte ihn unter den Arm, dieser Schal ist ein Skandal, wenn ich nicht so ein netter Mensch wäre, würde ich meine Oma darin einwickeln und erst im Frühjahr wieder auswickeln. Das würde sie lehren, unbescholtene Bürger als wandelnde Spulen zu verwenden, sie hätte dann einfach ein bisschen Zeit zum Nachdenken.
    Er zwängte sich zwischen den voll besetzten Tischen durch, Herrgott, sagte er entnervt, vis-à-vis wäre ein hektargroßes Kaffeehaus, Platz genug zum Versteckenspielen mit den Kellnern, aber nein, ihr müsst euch hier herinnen auf dem Schoß sitzen, schon klar. Er kämpfte sich durch bis zur Theke, hängte seine Sachen links daneben an die Garderobe und wickelte ausführlich den Schal um den ganzen Ständer. Er nahm sich eine von den Zeitungen mit herüber.
    Er sah seine Oma zwischen den Tischen herumgehen, frisch onduliert, aber das nannte man vermutlich überhaupt nicht mehr so. Er hatte keine Ahnung, wie man das jetzt nannte, seine Oma jedenfalls ging zwischen den Tischen herum und sah adrett aus, aber auch adrett sagte man nicht mehr, er haute sich mit der flachen Hand auf die Stirn. Adrett, das nennt sich dann Neue Deutsche Literatur, würde ich Noch Neuere Deutsche Literatur studieren, sähe sie womöglich flott aus, wäre ein heißer Feger, und ich, Flegel, lümmelte in zwielichtigen Kaschemmen. Die deutsche Literatur, sagte er, krankt an einem chronischen Hinkebein, kommt einfach den vielen neuen Büchern nicht hinterher, die im Schweinsgalopp die Äonen durchmessen.
    Er blätterte ein bisschen durch die Zeitung, das Wetter blieb, wie es war, wieso auch nicht. Deutschland hatte so seine üblichen Probleme, wie immer rang es mit seiner Identität, Europa: die üblichen Schwierigkeiten, die Gurken zu krumm, der Euro zu schwach und alte Tomatensorten hatten keine Chance, Europa stritt über die Türkei, das Übliche eben, die Welt, sie drehte sich weiter, die bekannten Themen. Einer Astronautin entglitt bei einem Außeneinsatz an der Internationalen Raumstation ISS ihre Werkzeugtasche, flog davon. Seither tauchte sie regelmäßig am Nachthimmel auf. Derzeit, teilte die NASA mit, überschwebe sie gerade Europa und wurde von einem Hobbyastronomen dabei gefilmt, wie sie am Stern Eta Pisces im Sternbild Fische vorbeizog, offensichtlich entschlossen auf dem Weg zum Widder.

10. Es sind alles Schwätzer

    Ach so, sagte Stanjic, apropos Astronauten.
    Ich bin überhaupt noch nicht fertig, rief Sydow, das war quasi erst das Vorwort, es kommen noch lauter wichtige und interessante –
    Kannst du deiner Oma erzählen, Stanjic war klar, jetzt oder nie, apropos Astronauten, sagte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher